Vorträge
Cyperpeace - Frieden gestalten mit Informatik
FIfF Jahrestagung 2013
25. bis 27. Oktober 2013 in Siegen
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Übersicht der Vorträge:
- Frieden ist mehr als die Abwesenheit von Krieg - Begriffsbestimmung und Einführung zum Tagungsthema
Sylvia Johnigk und Kai Nothdurft
- Internetüberwachung und Zensur
Jacob Appelbaum - ICT use to support resilience in regions of conflict: The case of Iraq and the Arab Spring
Prof. Gloria Mark - Datenschutz heute: 30 Jahre zurück statt 30 Jahre voraus?
Prof. Dr. Dr. h.c. Günter Müller - Das Imperium schlägt zurück - Zur Lage der Menschenrechte im digitalen Zeitalter
Sebastian Schweda von Amnesty International - Geheimnisse und das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme
Rainer Rehak
Detailbeschreibungen
Frieden ist mehr als die Abwesenheit von Krieg - Begriffsbestimmung und Einführung zum Tagungsthema
Der
Vortrag soll eine Übersicht zum Tagungsthema Cyberpeace geben. Im
ersten Schritt erfolgt eine Begriffsbestimmung für Cyberwarfare und
dessen Abgrenzung zu anderen Angriffen auf IT Systeme. Wir beleuchten
das Attributierungsproblem und das Dual Use Dilemma bei der
Geheimhaltung von Schwachstellen.
Durch die Enthüllungen im NSA
Skandal wurde deutlich, dass Geheimdienste durch Botnetze, Spionage und
den Einbau von Schwachstellen in Algorithmen, IT Services und Produkte
maßgeblich an der Vorbereitung der digitalen Kriegsführung beteiligt
sind.
Die weiteren gesellschaftliche Folgen zeigen sich in der
Remilitarisierung des Internets. Die Massenüberwachung durch die
Geheimdienste und die Etablierung von Überwachungstrukturen und
Technologien bilden die notwendige Basis für die Erreichung und
Aufrechterhaltung der Hegenomie im Cyberspace.
Für dessen friedliche
Entwicklung ist eine starke Zivilgesellschaft erforderlich mit freiem
Journalismus, parlamentarischer und öffentlicher Kontrolle der
Machtinhaber, informationeller Selbstbestimmung und Rechtssicherheit
gegenüber Datenmissbrauch, Schutz vor Diskriminierung und Verfolgung.
Wesentliche Voraussetzungen dafür sind friedensfördernde
informationstechnische Strukturen. Dazu zählen Open Source, Transparenz,
freie Sicherheitsforschung, Privacy by Design, Anonymität, Anti
Zensurmaßnahmen und Netzneutralität.
Des weiteren kann IT auch
emanzipatorisch genutzt werden, etwa zur politischen Willensbildung
(Liquid democracy), Mediation, Organisation von Widerstand und
Demokratie von Unten und so eine friedliche und freie Gesellschaft
fördern.
Abschließend werden die friedenspolitischen Forderungen des FIfF zur Beendigung des Cyberwar vorgestellt.
Sylvia Johnigk und Kai Nothdurft
FIfF Vorstandsmitglieder arbeiten seit Jahren unter anderen an dem Thema Cyberwarfare
Internetüberwachung und Zensur
Informationen folgen
Jacob Appelbaum
Menschenrechtsaktivist, Wikileaks Unterstützer und einer der Entwickler der Anonymisierungssoftware TOR
ICT use to support resilience in regions of conflict: The case of Iraq and the Arab Spring
In this talk I will present research conducted over six years to understand how ICTs can be used in environments disrupted by war and political uprisings to support people in being resilient. We have studied ICT use by people experiencing prolonged conflict over the eight years of the Iraq war, and by those who experienced the political uprisings of Egypt in 2011 during the Arab Spring movement. In Iraq, interviews with 105 Iraqi citizens revealed how ICTs can help people rebuild their human infrastructure: they were used to maintain daily work patterns and social life, by utilizing safe networks and developing new collaborative practices. An analysis of the blogosphere in Iraq revealed how blogs created a safe virtual environment where people could interact, free of the violence in the physical environment and of the strict social norms of their changing society in wartime. We discovered that blog content can be an indicator of the health or state of the affected population; blogs temporally tracked the actual, measurable violence in the society, and they can indicate when collective identity emerges. In Egypt during the Arab Spring, blogs revealed a counter-narrative to the government-supplied version of events during the 18-day uprising. These narratives offer rich documentation of how blogs, and social media more generally, can be utilized by individuals operating under repressive conditions. I will discuss how the new and modified use of ICTs in these conditions have led to some deeper structural changes in the societies.
Gloria Mark is a Professor in the Department of Informatics, University of California, Irvine. Her research focuses on the studying the impact of digital technology in real-world contexts. Her current projects include studying how people use ICTs in environments disrupted by conflict, multi-tasking of information workers, and analysis of workplace social media. She received her PhD in Psychology from Columbia University. Prior to joining UCI in 2000, she worked at the German National Research Center for Information Technology (GMD) in Bonn, Germany (now Fraunhofer Institute). In 2006 she received a Fulbright scholarship where she worked at the Humboldt University in Berlin, Germany. She has been the technical program chair for the ACM CSCW’12, ACM CSCW'06, and ACM GROUP’05 conferences, and is on the editorial board of ACM TOCHI and Human-Computer Interaction. Her work has appeared in the top conferences and journals in the HCI field. Her work has also appeared in the popular press such as The New York Times, the BBC, Time, and The Wall Street Journal.
Datenschutz heute: 30 Jahre zurück statt 30 Jahre voraus?
Der Schutz der Privatheit ist trotz aller Fehlschläge und Angriffe ein auch im Internet lebendiges Prinzip. Sowohl das Bundesdatenschutzgesetz als auch die aktuell diskutierten EU-Vorschläge dazu gehen von der Vorstellung aus, dass Privatheit eine Sache über Individuen sei und diese Individuen selbst bestimmt handeln wollen und können. Das dazu passende Szenario ist 30 Jahre alt. Heute in Zeiten der sozialen Netze, Big Data und omnipotenter Beobachter sind die Grundprinzipien für die kommenden Jahre in Gefahr sich weiter von der Technik zu entfernen. Schon heute werden sie von Nutzern überwiegend nicht angenommen. Der Vortrag zeigt die Unterschiede in den USA und Europa, weshalb die informationelle Selbstbestimmung Nutzer überfordert und weshalb mit Transparenz die gegenwärtigen Verfahren ergänzt werden müssen, soll Privatheit auch im Internet in den kommenden 30 Jahren befriedigender als heute durchgesetzt werden können.
Das Imperium schlägt zurück - Zur Lage der Menschenrechte im digitalen Zeitalter
In den vergangenen 20 Jahren haben digitale Technologien in der
Datenverarbeitung und -übertragung zunehmende Verbreitung gefunden.
Dieses oft als „digitale Revolution“ bezeichnete Phänomen hat für die
meisten Menschen zu enormen Erleichterungen im Alltag und für die
Gesellschaften insgesamt zu großen Effizienzsteigerungen geführt.
Auch für den Schutz der Menschenrechte hat diese Entwicklung erhebliche
Chancen eröffnet: Der „Arabische Frühling“ wäre in dieser Dynamik kaum
denkbar gewesen ohne die Nutzung moderner Informations- und
Kommunikationsmittel. Die Inhalte vertraulicher Dokumente, mit denen
Menschenrechtsverletzungen von Staaten erstmals belegt werden konnten
und von denen die von Chelsea Manning und Edward Snowden geleakten nur
die aufsehenerregendsten waren, hätten ohne anonyme
Whistleblower-Plattformen im Internet wie WikiLeaks
nicht dieselbe Aufmerksamkeit und Verbreitung gefunden. Zahlreiche
Projekte vernetzen Menschenrechtsaktivisten mittlerweile über Blogs,
soziale Netzwerke, SMS-Dienste oder Smartphone-Apps. Sie ermöglichen es
ihnen, sich über ihre Arbeit auszutauschen, Belege für
Menschenrechtsverletzungen im Netz weltweit publik zu machen und sich
vor Übergriffen wirksamer zu schützen.
Gleichzeitig verwenden aber auch Regierungen diese Technologien, um
Menschen, durch die sie sich in ihrer Macht gefährdet sehen, zu
überwachen, aufzuspüren und zu verhaften. In vielen Fällen geht es dabei
um Personen, die lediglich von ihren Menschenrechten Gebrauch gemacht
haben. Staaten nutzen die ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten,
um ihnen nicht genehme Meinungen oder Aktivitäten zu unterdrücken. Sie
lassen Kommunikationsvorgänge ohne konkreten Anlass überwachen und
untergraben damit die Anonymität der Kommunikation und die Privatsphäre
der Menschen. Sie sperren bestimmte Dienste und Inhalte im Internet,
dringen in private E-Mail-Konten ein, zensieren Meinungsäußerungen
anhand von gigantischen Wortfiltern oder haben gar die Abschaltung von
Kommunikationsnetzen angeordnet in Zeiten, in denen sie ihren
Machterhalt durch bürgerliche Unruhen und politische Proteste gefährdet
sahen.
Die Enthüllungen der letzten Monate über die Spähaktivitäten von NSA und
GCHQ sprengen alle bisher öffentlich bekannt gewordenen Dimensionen
weltweiter Kommunikationsüberwachungsmaßnahmen. Gleichzeitig sehen sich
Whistleblower, die vertrauliche Dokumente veröffentlichen, aus denen
sich Menschenrechtsverletzungen ergeben, strenger Verfolgung durch
staatliche Behörden ausgesetzt. Die EU-Richtlinie zur
Vorratsdatenspeicherung und fragwürdige EU-Forschungsprojekte wie INDECT
tragen das Ihre dazu bei, dass zunehmend der Eindruck entsteht, es
seien nicht nur Staaten mit seit langem bekannter extensiver
Überwachungs-, Filter- und Zensurtradition wie China, Iran oder
Saudi-Arabien, die den Menschenrechten im digitalen Raum nur geringen
Wert beimessen.
Die genannten Beispiele zeigen die ambivalenten Folgen der
Digitalisierung für die Menschenrechte: Während moderne Informations-
und Kommunikationstechnologien dem Einzelnen neue Chancen zur
Wahrnehmung seiner Rechte eröffnen, geben sie Regierungen auch neue
Instrumente an die Hand, diese Aktivitäten wirksam zu unterbinden, zu
behindern oder zu kontrollieren. Die gegenwärtigen Entwicklungen zeigen,
dass exzessive staatliche Eingriffe in diesem Umfeld die volle
Durchsetzung der Menschenrechte - allen voran der Rechte auf freie
Meinungsäußerung, auf freien Informationszugang und auf den Schutz des
Privatlebens - zunehmend gefährden. Regierungen überall auf der Welt
scheinen gegenwärtig darauf hinzuwirken, die Erleichterungen, die
moderne Informations- und Kommunikationstechnologien für die Wahrnehmung
der Menschenrechte gebracht haben, unter dem Vorwand der nationalen
Sicherheit zu einem erheblichen Teil wieder zu beseitigen oder deutlich
einzuschränken.
Die deutsche Sektion von Amnesty International ist derzeit dabei, eine
neue Arbeitsgruppe unter dem vorläufigen Namen Digital@Amnesty
einzurichten, die sich mit Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang
mit dem Einsatz digitaler Informations- und Kommunikationstechnologie
befasst. Wir sehen unsere Aufgabe darin, die weitere Entwicklung dieser
Technologien kritisch zu begleiten und an der Erarbeitung offizieller
Positionen von Amnesty International zu den daraus entstehenden
Problemen mit Blick auf den künftigen Schutz der Menschenrechte in einem
digitalen Umfeld mitzuwirken.
Sebastian Schweda
Arbeitet bei Amnesty International mit. Er ist Rechtsanwalt mit Schwerpunkten im Medien-, Telekommunikations- und Datenschutzrecht.
Geheimnisse und das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme
Im Kontext der kürzlichen Enthüllungen des ehemaligen NSA-Mitarbeiters Edward Snowden kam unter anderem ans Tageslicht, dass sicherheitskritische Schwachstellen im weit verbreiteten Betriebssystem Microsoft Windows absichtlich von Microsoft geheimgehalten und nicht – oder nur verzögert – behoben werden. Einziger Grund sind die US-amerikanische Geheimdienste, sie erhalten diese Informationen umgehend, um die offenen Sicherheitslücken für ihre Zwecke ausnutzen zu können.
Die Infrastruktur unserer digitalen Welt wird also ganz bewusst unsicher gestaltet. Dieser Umstand betrifft Privatpersonen genauso wie Behörden und Unternehmen genauso wie andere Organisationen, mindestens alle, die Microsoft Windows einsetzen.
Wie verträgt es sich aber damit, dass das Bundesverfassungsgericht im Jahre 2008 das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme formuliert hat?
Das Grundrecht wurde aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht abgeleitet, weil das Gericht die Bedeutung solcher Systeme für den Menschen und die Gesellschaft erkannt hat. Dabei ist der Hinweis wichtig, dass sich das Grundrecht nicht auf Vertraulichkeit und Integrität allein richtet, sondern sogar auf deren Gewährleistung. Der Staat ist gewissermaßen in Bringschuld.
Welche Implikationen hat dieses Grundrecht also in einer globalisierten und digitalisierten Welt, in der Hersteller wissentlich unsichere Betriebssystemsoftware vertreiben, damit u.a. Geheimdienste die offenen Sicherheitslücken ausnutzen können? Muss man sich angesichts der Untätigkeit der deutschen Politik fragen, ob der Wesensgehalt des neuen Grundrechts dort überhaupt verstanden worden ist? Wie sehen tatsächliche Lösungsansätze aus, welche Rolle kann oder muss freie Software dabei spielen und vor allem warum? Diese und andere spannende Fragen sollen im Vortrag behandelt werden.
Rainer Rehak
Preisträger des FIfF Studienpreises 2012