Laudatio anlässlich der Verleihung der Weizenbaum-Medaille 2018 an Wolfgang Coy
Laudatio von Hans-Jörg Kreowski
Das Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung verleiht die Weizenbaum-Medaille 2018 für seine außerordentlichen Verdienste um das Lehr- und Forschungsgebiet Informatik und Gesellschaft an Wolfgang Coy.
Als Professor für Informatik in Bildung und Gesellschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin hat er das Fach Informatik und Gesellschaft in Forschung und Lehre einzigartig, beispielhaft und maßgeblich ausgestaltet unter Einbeziehung medientheoretischer, sozial- und kulturgeschichtlicher, fachdidaktischer und ethischer Gesichtspunkte. In seinem Artikel Weder vollständig noch widerspruchsfrei aus dem Jahre 2002 formuliert er Sinn und Zweck von Informatik und Gesellschaft in der Lehre so:
„Um den reichhaltigen Kontext moderner Informatiksysteme angemessen zu vermitteln, muss die Lehre in Informatik und Gesellschaft so vielfältige Inhalte wie Informationsrecht, (alte und neue) Ökonomie oder Arbeits- und Berufswelt der Informatik ansprechen und gegebenenfalls vertiefen. Darüber hinaus muss Informatik und Gesellschaft die geistigen und kulturellen Grundlagen des Faches vermitteln und nicht zuletzt sollen die Fähigkeit zur Bewertung sozio-kultureller Prozesse geweckt werden – von der berufsspezifischen Ethik bis zu den historischen und politischen Aspekten der Globalisierung und Informationsgesellschaft. So begrü.enswert es ist, wenn solche Themen an der richtigen Stelle im fachlichen Kontext an- und ausgesprochen werden, so scheint es mir doch unerlässlich, diese Themenkomplexe auch im eigenen Kontext und mit der eigenen Logik, eben in einem eigenen Fach Informatik und Gesellschaft, zu präsentieren und zu diskutieren. Diese Komplexität zeigt, dass die Informatik eine Technikwissenschaft neuen Typs ist, die sich aus einer erfolgreichen Praxis zu einer reflektierenden Wissenschaft mausert.“
Es ist seiner Initiative und seiner Überzeugungsarbeit in Wort und Schrift zu verdanken, dass über die Lehre hinaus mit der Theorie der Informatik diese technische Disziplin eine wissenschaftstheoretische Fundierung erfahren hat, die die mathematische Fundierung in der theoretischen Informatik essentiell ergänzt. Ein wichtiger Teil dieser Überlegungen betrifft die Frage nach den gesellschaftlichen Auswirkungen der Informatik und deren Bewertung. In diesem Zusammenhang hat Wolfgang Coy einen denkwürdigen Anstoß zur Begrifflichkeit geleistet.
Seit Jahrzehnten findet durch massiven Computereinsatz, weltweite digitale Vernetzung und Algorithmisierung nahezu aller Informationsverarbeitungs- und maschinellen Steuerungsprozesse eine allmähliche, aber umfassende Umwälzung in Wirtschaft, Verwaltung und Verkehr, in Bildung, Wissenschaft und Militär, in Staat und Gesellschaft statt, die inzwischen nicht nur die Arbeit vieler, sondern auch das alltägliche Leben gewaltig verändert hat. Staat und Wirtschaft investieren Unsummen, um die Digitalisierung voranzutreiben. Dieses Vorgehen ist interessengesteuert, wird als alternativlos hingestellt und von einer häufig völlig unkritischen Technologiegläubigkeit getragen. Wolfgang Coy gehört zu dem kleinen Kreis der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die mit einem fundierten technischen Verständnis die damit verbundenen gesellschaftlichen Prozesse kritisch analysieren. Er kommt in seinen Werken zu dem Schluss, dass es sich nicht allein um eine weitere Phase der industriellen Revolution, sondern vielmehr um einen allumfassenden kulturellen Wandel handelt, den er mit der Ablösung der Gutenberg-Galaxis durch die Turing-Galaxis beschreibt.
Ein frühes Beispiel ist Wolfgang Coys 1985 im Rotbuch-Verlag erschienenes gut 160- seitiges Essay Industrieroboter – Zur Archäologie der Zweiten Schöpfung, in dem er nicht nur visionär den Prozess der Roboterisierung aufgegriffen hat, der eigentlich erst in den letzten Jahren mit großen Nachdruck und unübersehbar vorangetrieben wird, sondern ihn auch in die seit der Renaissance laufenden technischen Versuche einordnet, die unter „Zweiter Schöpfung“ subsumieren lassen. Besonders hervorzuheben ist auch der dritte Teil, in dem der Autor die Phantastereien der Vertreter der starken Künstlichen Intelligenz zum Bau denkender Maschinen als illusionär entlarvt. Da heute wieder die Entwicklungen in Künstlicher Intelligenz und Robotik mit häufig unreflektierten bis zu völlig absurden Zielen begründet werden, wäre es nicht schlecht, wenn Industrieroboter Pflichtlektüre würde.
Wolfgang Coy ist ein Denker, Gelehrter und Aufklärer im wahrsten Sinne des Wortes, dem es um Wissenschaftlichkeit, kritische und tiefgreifende Analyse, Erkenntnisgewinn und Aufrichtigkeit geht. Im akademischen Bereich ist das leider keine Selbstverständlichkeit angesichts des verbreiteten Forschungsmanagements, das eigenes Forschen durch Forschenlassen ersetzt, angesichts der ungebremsten Jagd nach Drittmitteln und dem Wohlwollen der Politik sowie angesichts einer teils sinnentleerten Publikationswut und des Sammelns zweifelhafter Erfolge.
Vollständige Laudatio (pdf) ...
Videoaufzeichnung der Verleihung mit Einführung, Laudatio und Rede von Wolfgang Coy ...