Von Pfeil und Bogen zum "Digitalen Bogen"
Eliane Fernandes Ferreira: Von Pfeil und Bogen zum »Digitalen Bogen«. Die Indigenen Brasiliens und das Internet. Bielefeld: transkript, 2009.
Rezension von Ralf E. Streibl
Informatik und „Dritte Welt“ ist ein Thema, welches eher selten im Informatik-Kontext angesprochen wird. Auf einer technisch-statistischen Ebene kann man Host-Rechner zählen oder fragen, ob es noch Länder auf der Erde gibt, die keinen Internet-Zugang haben. Das mögen Fakten sein. Die Frage, ob das hinsichtlich des Themas weiterhilft, mag hier unbeantwortet bleiben.
Einen ganz anderen Weg geht Eliane Fernandes Ferreira. Die Ethnologin hat sich in ihrer Dissertation in überaus spannender und beeindruckender Weise in konkrete Situationen hineinbegeben und mehrfach – teilweise in mehrjährigem Abstand – die sich entwickelnde Internetnutzung bei einigen indigenen Gemeinschaften in Brasilien beobachtet und vorsichtig begleitet. In ihrer Beschreibung sind die Menschen und Gemeinschaften nicht Forschungsobjekt, sondern sie werden als aktiv handelnde Gestalter ihrer eigenen technologischen Entwicklung erkennbar. Leserinnen und Leser, die wenig über Brasilien und die dortigen Indigenen wissen, lädt das Buch zunächst kompetent und verständlich, deren Geschichte und aktuelle Lebenssituation zu verstehen. Eine Analyse der Bedeutung von Medien für Indigene weltweit und in Brasilien schließt sich an und bildet die Brücke zu einer genauen Betrachtung spezifischer Internetprojekte für und mit Indigenen in Brasilien. Die Autorin schildert gleichermaßen sorgfältig wie einfühlsam ihre Beobachtungen und Feldforschungen an verschiedenen Orten. Sie hinterfragt die Motivation der Projekte, beschreibt technische Schwierigkeiten und gibt Einblick in die Nutzung so geschaffener Internetzugänge. Dabei reproduziert sie jedoch nicht eine distanzierte Außensicht einer technologisch geprägten Welt, sondern geht mit ihrem ethnographischen Ansatz auf indigene Identität und die daraus resultierende Aneignung der neuen Technologie ein. Wünsche und Schwierigkeiten werden sichtbar und kulturelle Prozesse werden nicht isoliert, sondern deutlich eingebettet in gesamtgesellschaftliche Entwicklungen dargestellt und diskutiert.
Fazit: Die aus Brasilien stammende und seit vielen Jahren in Deutschland lebende Wissenschaftlerin hat ein außergewöhnliches Werk vorgelegt, welches gleichermaßen in seinem wissenschaftlichen Ansatz als auch durch seine einfühlsame, reflektierte Herangehensweise und Schilderung beeindruckt.
Eliane Fernandes Ferreira: Von Pfeil und Bogen zum »Digitalen Bogen«. Die Indigenen Brasiliens und das Internet. Bielefeld: transkript, 2009.