Kinderpornographie und Internet
Korinna Kuhnen: Kinderpornographie und Internet, Medium als Wegbereiter für das (pädo-)sexuelle Interesse am Kind? Göttingen: Hogrefe, 2007.
Rezension von Ralf E. Streibl
Endlich! – ist man versucht zu sagen, wenn man sich das Buch von Korinna Kuhnen genauer ansieht, eine medienwissenschaftliche Dissertation an der Universität Paderborn, die beim Hogrefe Verlag in der Reihe »Internet und Psychologie« publiziert wurde. Betrachtet man die in diesem Jahr geführte Debatte über die Sperrung von Internetseiten mit kinderpornographischen Inhalten, so zeichneten sich die Protagonisten dieser Forderungen zumeist durch profunde Unkenntnis der technischen Hintergründe aus. Von Seiten der Gegner wurden neben technischen vor allem grundsätzliche politische Bedenken (Schaffung einer Zensur-Infrastuktur etc.) ins Feld geführt. Differenzierte Töne haben es bei diesem Thema schwer, in der aufgeheizten Debatte zu Kenntnis genommen zu werden.
Es wäre fatal, die Debatte um Kinderpornographie im Internet alleine auf die technische oder politische Diskussion zu reduzieren. Korinna Kuhnen kommt das Verdienst zu, in ihrer Arbeit, die vor der jüngsten Debatte entstand, in fundierter und sorgfältiger Weise das Thema von verschiedenen Seiten anzugehen und zu diskutieren. Sie beginnt mit dem Versuch einer Klärung des Begriffs Kinderpornographie. Schon hier zeigt sich, dass es zu diesem in der politischen Debatte meist plakativ gebrauchten Begriff keine klare juristische, gesellschaftliche und kulturell übergreifende Definition gibt. Diese differenzierte und vorsichtige Betrachtung führt jedoch im weiteren Verlauf nicht zu einer unangemessenen Relativierung der Problematik. Weitere Kapitel beschäftigen sich mit der Sicht der Strafverfolgung sowie Nutzungsaspekten des Internets, insb. hinsichtlich der Frage der Zugänglichkeit kinderpornographischer Materialien. Ein großes Kapitel widmet sich den Tätern und thematisiert ausführlich mögliche Ursachen, Motive und Wirkungen, ohne hierbei die Spezifika des Mediums Internet dabei aus den Augen zu verlieren. Ein kürzeres aber umso wichtigeres Kapitel thematisiert die Opferseite und macht überaus deutlich, dass nicht nur bei der Produktion kinderpornographischer Materialien zum Teil massiver Missbrauch an Kindern getrieben wird, sondern dass durch die Verbreitung und den Warencharakter dieser Missbrauch dauerhaft perpetuiert wird. Das abschließende Kapitel über die politische Debatte, welches den provokativen Untertitel »Kinderschutz versus Datenschutz« trägt, enthält zwar nicht die Diskussionen der letzten Monate, ist aber ungeachtet dessen in seiner Analyse auch heute lesenswert. Insofern überrascht es nicht, dass die Autorin in ihrem Resümee, betitelt »Die Ablenkung vom Wesentlichen«, deutlich Stellung bezieht. Sie stellt heraus, dass Kinderpornographie im Internet kein herbei geredetes, sondern ein real existentes Problem ist, dessen grundlegende Ursache jedoch nicht im Internet zu suchen sei. Sie analysiert sorgfältig die Wirkungen des Mediums, bleibt dabei jedoch nicht in einer rein medienwissenschaftlichen Betrachtung stecken. Vielmehr äußert sie Besorgnis, dass durch den intensiven Fokus auf das globale Medium Internet „der eigentliche Kern der Kinderpornographie, nämlich der ganz alltägliche, sexuelle Missbrauch von Kindern womöglich aus dem Blickfeld“ (S.298) geraten könnte. So befürchtet sie, dass die skandalisierende und pauschalisierende Diskussion für die Schärfung der gesellschaftlichen Wahrnehmung eher kontraproduktiv wirksam wird.
Fazit: Endlich eine differenzierte Annäherung an ein stark durch Tabus und vorgefasste Meinungen geprägtes Thema, welches in der politisch aufgeladenen Diskussion immer wieder instrumentalisiert zu werden droht. Schade, dass offenkundig viele an der aktuellen politischen Diskussion Beteiligte dieses Buch (noch?) nicht gelesen haben.
Korinna Kuhnen: Kinderpornographie und Internet, Medium als Wegbereiter für das (pädo-)sexuelle Interesse am Kind? Göttingen: Hogrefe, 2007.