FIfF-Kommunikation 1/2012 - Editorial
Dialektik der Informationssicherheit – der Titel unserer letztjährigen Jahrestagung ist gleichzeitig das Schwerpunktthema dieses Hefts. Nahezu die gesamte Gesellschaft nutzt Informationen in digitaler Form. Die Computerisierung der Gesellschaft hat insbesondere durch die allgegenwärtige Nutzung des Internet im Privatbereich, im Geschäftsleben und in Behörden und ihren Verwaltungsprozessen die Sicherheit dieser Informationen zu einer zentralen gesellschaftlichen Herausforderung werden lassen. Da fast alle Lebensbereiche davon betroffen sind, fokussieren sich in den Sicherheitsinteressen auch die verschiedenen gesellschaftlichen Interessen, die Gemeinsamkeiten und Konflikte, Gestaltungsmöglichkeiten, Macht, Wirtschaftsinteressen und elementare Fragen des Zusammenlebens.
Dialektik zeigt sich dabei im Vorhandensein dieser verschiedenen Interessen, von Zielkonflikten, von Widersprüchlichkeiten, von allem innewohnenden Vor- und Nachteilen.
Die Dialektik findet sich selbst in den Sicherheitswerkzeugen wieder. Ein Verschlüsselungsverfahren kann gegensätzlichen Interessen dienen. Zum Beispiel kann mit SSL-Verschlüsselung eine Internetverbindung geschützt werden. Sie kann aber auch von einem Angreifer genutzt werden, um die Verbindung eines Trojaners zu seinem Command-and-Control-Server zu verschleiern.
Vertraulichkeit und Privatsphäre stehen staatlichen Sicherheitsinteressen gegenüber. Phillip Brunst widmet sich diesem Aspekt in seinem Artikel Anonymität, Integrität und Vertraulichkeit vs. Strafverfolgung. Felix Freiling untersucht, unter welchen Bedingungen ein gesetzeskonfomer Einsatz von Onlinetrojanern möglich ist. Wie die Sicherheitsindustrie in geschlossenen Lobbygruppen die Sicherheitsstrategie und Politik vorantreibt, beschreibt Sylvia Johnigk in ihrem AG-Bericht. Wie sich auf der anderen Seite die Netzaktivisten auf europäischer Ebene organisieren, schildern Stefan Hügel, Dietrich Meyer-Ebrecht und Jens Rinne im Bericht zur Europa-AG.
Doch auch Marktforschung und Verwertungsinteressen haben wenig Interesse an Anonymität und Vertraulichkeit. In der AG Maltego zeigte Iwan Gulenko, wie leicht sich Daten aus öffentlichen Quellen verknüpfen lassen. Michael George beschäftigt sich im Interview Schützenswerter Rohstoff Geist mit dem Problem der Wirtschaftsspionage. Es mag auf den ersten Blick überraschen, in der FIfF-Kommunikation ein Interview zu lesen, das ursprünglich ein Vertreter des Verfassungsschutzes dem Bayernkurier gegeben hat. Wir dokumentieren es hier als Beitrag zur Diskussion.
Zusätzlich zu den Beiträgen zur Infomationssicherheit im engen Sinne berichten wir über zwei weitere Arbeitsgruppen, die sich thematisch im Fokus des FIfF befinden: in den Beiträgen von Hans-Jörg Kreowski und Dietrich Meyer-Ebrecht und von Ralf E. Streibl zu Killerroboter, Cyberwar & Co., und in dem Beitrag von Sebastian Jekutsch, Faire Computer – Gibt‘s das?
Den aktuellen Teil bilden vor allem Beiträge zu zwei weiteren Schwerpunktthemen: Der Themenbereich Rüstung und Cyberwar beginnt mit einem Beitrag von Sylvia Johnigk und Kai Nothdurft zur Cyberwarfare. Der Beitrag schließt mit einer Reihe von Forderungen, zu deren Diskussion wir aufrufen, um sie zu einem Forderungskatalog des FIfF weiterzuentwickeln. Ralf E. Streibl kommentiert im Anschluss daran Erfreuliches: Die Universität Bremen hat die Weitergeltung der Zivilklausel bekräftigt – auch künftig lehnt sie die Beteiligung an Forschung mit militärischer Zielsetzung ab. Andreas Seifert von der Informationsstelle Militarisierung (IMI) beschreibt das Projekt Interaktiver Rüstungsatlas, und wir drucken den Appell aus Berlin zur Abschaffung aller Atomwaffen.
Im Themenkomplex Informatik und Gesellschaft an Hochschulen fordern Andrea Knaut, Jörg Pohle und Stefan Ullrich dazu auf, einen Masterstudiengang Informatik und Gesellschaft zu etablieren. Danach berichten Britta Schinzel et al. aus der DFG-Studie Weltbilder der Informatik, und fragen dabei: Verlernen Informatik-Studierende Verantwortungnahme?
Eine Untersuchung von Daniela Wühr und Stefan Sauer zur Entwicklungsmethodik Scrum als Innovations- und Emanzipationsgenerator und einige Gedanken von Ulrich Klotz anlässlich der weltweiten Demonstrationen gegen ACTA beschließen den aktuellen Teil.
Wir wünschen unseren Leserinnen und Lesern eine interessante und anregende Lektüre – und viele neue Erkenntnisse und Einsichten.
Sylvia Johnigk, Kai Nothdurft, Stefan Hügel für die Redaktion