FK 4/2011 Brief an das FIfF
#0zapftis
Sie berufen sich hier pausenlos aufs Grundgesetz
sagen Sie mal / sind Sie eigentlich Kommunist?
Franz Josef Degenhardt (1931-2011)
Liebe Mitglieder des FIfF, liebe Leserinnen und Leser,
das Irritierende ist, dass es mich nicht mehr besonders überrascht …
Die Nachricht verbreitete sich schnell auf dem AKtiVCongreZ in Hamburg: Der Chaos Computer Club habe einen Staatstrojaner analysiert: „Der kann alles.“
Alles heißt: Quellen-Telekommunikationsüberwachung (verfassungsgemäß). Beliebige Funktionalität nachladen (nicht verfassungsgemäß). Damit beliebige Daten auf dem infiltrierten Rechner lesen (nicht verfassungsgemäß) und schreiben (auch nicht verfassungsgemäß). Screenshots anfertigen und an die Behörden übermitteln (nicht verfassungsgemäß). Von der offenbar katast rophal mangelhaften Sicherheit der Software gar nicht zu reden.
Nach kurzem Rätselraten über den Ursprung des Trojaners wa ren es zunächst die bayerischen Behörden: das Landgericht Landshut hatte vor einiger Zeit über eine Quellen-TKÜ zu befinden (rechtmäßig), die mit 30-sekündlicher Übermittlung von Screenshots verknüpft wurde (nicht rechtmäßig). Aus dem bayerischen Innenministerium verlautete zu dem Urteil, man vertrete dort eben eine andere Rechtsauffassung.
Die bayerischen Behörden waren aber offenbar nicht die einzigen, die sich dieser oder vergleichbarer Software bedienten. Ein Bundesland nach dem anderen musste einräumen, dass es Online-Durchsuchungen durchgeführt habe. Auch einige Bundes behörden waren nicht zimperlich.
Am 27. Februar 2008 urteilte das Bundesverfassungsgericht, dass es ein Grundrecht gebe auf die Gewährleistung der Ver traulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme – auch bekannt als Computer-Grundrecht. In den 70ern wur den einfache Postboten aus dem Staatsdienst entfernt, wenn sie nach Auffassung des Verfassungsschutzes nicht die Gewähr da für boten, jederzeit für die freiheitlich-demokratische Grundord nung einzutreten. Wie viele verfassungswidrige Gesetze muss ein Parlament beschließen, wie viele verfassungswidrige Handlungen müssen die Verantwortlichen staatlicher Organe vornehmen, um sich dem Verdacht auszusetzen, die verfassungsmäßige Ordnung beseitigen zu wollen?
Und die zuständigen Behörden? „Was für verfassungsrechtliche Skelette tanzen denn noch in den Kellern der deutschen Sicher heitsbehörden, wenn ein so massiver Verstoß wie der Staatst rojaner eine Kleinigkeit sein soll?“ fragte Pavel Meyer von der Piratenpartei in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zu den Verharmlosungsversuchen von Regierungen und Behörden. Der Bundesinnenminister hielt es dagegen nicht einmal für nötig, zur Bundestagsdebatte zu einem der größten innenpolitischen Skandale der letzten Zeit zu erscheinen. Zu Recht wurde er da für in der Presse scharf kritisiert.
Zäh gestaltet sich offenbar die Arbeit in der Enquête-Kommis sion Internet und digitale Gesellschaft des Bundestags. Nach dem man die Hälfte der ersten Sitzung nach der Sommer pause mit einer weitgehend formalistisch geführten Debatte verbrachte, ob Gutachten zu den Themen Urheberrecht und Netzneutralität beauftragt werden sollten oder nicht (sie wur den nicht in Auftrag gegeben), kam dann zumindest der Text zu Netzneutralität zur Abstimmung, der im Juli verschoben worden war. Dass der beschlossene Text mit Sondervoten gespickt ist, sollte nicht überraschen – zu weit auseinander liegen hier offen sichtlich die Wertvorstellungen von Koalition und Opposition. Der CDU-Abgeordnete Peter Tauber wunderte sich während der Debatte darüber, dass die Opposition plötzlich staatliche Regulierung fordern würde, die sie sonst – bei Vorratsdatenspeicherung und Netzsperren – vehement ablehne. Die Frage ist wohl einfach, ob man oben reguliert – bei Behörden und Konzernen – oder unten – bei Bürgerinnen und Bürgern, wie es Konservative gerne fordern.
Gerade ist der Höhepunkt des FIfF-Jahres zu Ende gegangen: die diesjährige Jahrestagung in München. Neben einer spannenden Tagung, die sich vor allem um die Themen Sicherheit und Datenschutz drehte – einen Kurzbericht gibt es in diesem Heft, das Tagungsheft wird dann als Ausgabe 1/2012 Ende März 2012 erscheinen – wurde auch turnusgemäß der Vorstand neu gewählt. Für meine Wiederwahl als Vorsitzender und das mir damit entgegengebrachte Vertrauen bedanke ich mich herzlich. Stellvertretender Vorsitzender ist in den kommenden zwei Jahren Dietrich Meyer-Ebrecht, neu in den Vorstand gewählt wurde unsere Geschäftsführerin Ingrid Schlagheck – beiden zu ihrer Wahl herzlichen Glückwunsch. Nicht mehr zur Wahl standen Carsten Büttemeier und Julia Stoll, die damit aus dem Vorstand ausscheiden. Ich danke beiden herzlich für ihr Engangement und die geleistete Arbeit.
Ein letztes Wort: Stört es eigentlich jemanden, wie über die jüngste Finanzkrise debattiert wird? Man müsse das Vertrauen der Finanzmärkte zurückgewinnen. Frei nach Bertolt Brecht, „... daß das Volk das Vertrauen der Finanzmärkte verscherzt habe. Und es nur durch doppelte Arbeit zurückerobern könne. Wäre es da nicht doch einfacher, die Finanzmärkte lösten das Volk auf und wählten ein anderes?“
Gegen die Einrichtung des Sondergremiums, das stellvertretend für den Bundestag über die Vergabe von Zahlungen aus dem Euro-Rettungsschirm entscheiden soll, wurde vom Bundesver fassungsgericht gerade eine einstweilige Verfügung erlassen. Er neut wird damit ein Bundestagsbeschluss – zumindest vorläufig – vom Verfassungsgericht verworfen. Das Irritierende ist, dass es mich nicht mehr besonders überrascht.
Ah, und noch etwas schrieb ich gerade „größter innenpoliti scher Skandal“? Gerade wurden zwei Männer tot aufgefunden, die dem Anschein nach – gemeinsam mit einer Komplizin – für eine Reihe rechtsextremer Morde in den letzten zehn Jahren ver antwortlich sind. Das geschah anscheinend weitgehend unbehelligt von Polizeibehörden und Verfassungsschutz – während gleichzeitig jedes brennende Auto mit aller Härte des Geset zes als „Linksterrorismus“ verfolgt wird. Oder wie es Twitterer haekelschwein formuliert: „Um als Terrorist zu gelten, müssen Rechte 13 Jahre bomben und morden, Linke ein Auto demolieren und Muslime eine Casio-Uhr tragen.“
Das Irritierende ist, dass es mich nicht mehr besonders überrascht.
Mit FIfFigen Grüßen,
Stefan Hügel