FK 3/2011 Editorial
Editorial
Große Ereignisse werfen wieder ihre Schatten voraus –
vom 11. bis 13. November 2011 findet in München unsere diesjährige Jahrestagung
statt. Dialektik der Informationssicherheit – Interessenskonflikte bei
Anonymität, Integrität und Vertraulichkeit
–, so der Titel; die Vorschau will darauf neugierig machen und bildet den
Anfang dieser Ausgabe der FIfF-Kommunikation.
Europa – in diesem Rahmen werden die wesentlichen politischen Entscheidungen getroffen, die auch die für nationale Politik letztlich maßgebenden Richtlinien festlegen. Viele Entwicklungen der Netzpolitik gehen auf Entscheidungen europäischer Institutionen zurück. Es liegt also nahe, sich mit europäischer IT- und Netzpolitik im Rahmen eines Schwerpunkts zu beschäftigen. In dieser Ausgabe der FIfF-Kommunikation haben wir eine Reihe von Beiträgen zusammengestellt, die unterschiedliche Facetten von Europa beleuchten. Wir behandeln netzpolitische Themen, den Zusammenhang zwischen IT und Arbeit, und Institutionen, die auf europäischer Ebene Einfluss nehmen wollen.
Den Schwerpunkt eröffnet Stefan Hügel. In seinem einleitenden Beitrag gibt er einen Überblick über Themen, die in der europäischen Netzpolitik eine Rolle gespielt haben und spielen. Behandelt werden Themen aus den Bereichen Regulierung, Überwachung, Datenschutz, Innen- und Sicherheitspolitik, die in letzter Zeit die Debatten bestimmt haben.
Zentrum europäischer Politik ist das Europäische Parlament. Wir haben Abgeordnete aus dem Ausschuss für Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE), der sich unter anderem mit Datenschutz, Transparenz und Überwachung auseinandersetzt, gebeten, ihre Positionen für uns darzustellen. Jan Philipp Albrecht von den Grünen und Alexander Alvaro von der FDP haben dies für uns getan – ihre Beiträge sind in dieser Ausgabe nachzulesen.
Digitale Rechte und bürgerliche Freiheiten werden von EDRi – European Digital Rights – in Brüssel vertreten. Tobias Lönnies hat sich im Rahmen eines Praktikums beim FIfF die Organisation und ihre Mitglieder etwas genauer angesehen. In seiner Untersuchung stellt er die Mitgliedsorganisationen dar: ihre Zusammensetzung, ihre Strukturen und – vor allem – ihre Themen.
„Lassen wir die Fakten sprechen“, fordert EDRi-Präsident Andreas Krisch in seinem Beitrag. Anhand einer Reihe von Beispielen stellt er dar, dass Gesetzesinitiativen und deren vorgebliche Zielsetzungen bei näherer Betrachtung häufig nicht ohne Weiteres in Einklang zu bringen sind.
Zur grundlegenden netzpolitischen Frage hat sich die Netzneutralität entwickelt. In Deutschland toben dazu heftige Debatten in der Enquête-Kommission Internet und digitale Gesellschaft. Die Niederlande sind hier bereits weiter, und haben Netzneutralität gesetzlich verankert. Monika Ermert stellt die Entwicklungen zur Netzneutralität dar – in Europa und darüber hinaus.
Arbeitsplätze in der Informationstechnik galten und gelten vielen als besonders attraktiv. Leider stimmt das nicht bei allen, wie Sebastian Jekutsch in seinem Beitrag feststellt. Arbeitsbedingungen von Migranten in der IT in Tschechien – auch dies ist letztlich ein europäisches Thema.
Ein besonders bemerkenswertes Beispiel europäischen Überwachungswahns ist das Projekt INDECT – Intelligent Information System Supporting Observation, Searching and Detection for Security of Citizens in Urban Environment – mit dem Ziel, Werkzeuge für Überwachung und Strafverfolgung bereitzustellen. Sylvia Johnigk kritisierte das Projekt im Rahmen eines Vortrags auf dem 27c3 – dem Chaos Communication Congress – im Dezember 2010. Die Protagonisten des Projekts sehen das naturgemäß etwas anders – der Projektbeteiligte Jan Derkacz, der bei dem Vortrag anwesend war, nimmt ausführlich aus Sicht der Befürworter Stellung. Seine Stellungnahme und die Replik von Sylvia Johnigk und Kai Nothdurft bilden den nächsten Beitrag. Darauf folgt, ebenfalls von Sylvia Johnigk, ein Projektbericht zur Sicherheitspolitik in der EU.
Auch Bildungspolitik wird in Europa gemacht – der Bologna-Prozess ist für die Hochschulen heute bestimmend. Joerg Zeltner kommentiert den Bologna-Prozess und seine Folgen für das Studium. Den Abschluss des Schwerpunkts bildet ein weiterer Beitrag von Sebastian Jekutsch, der den Weg von Altcomputern aus der Europäischen Union verfolgt hat. Bezug zu Europa hat schließlich auch unsere Retrospektive, in der wir eine Darstellung der europäischen Datenschutz-Richtlinie 95/46/EG wieder abdrucken, die der damalige Bremer Datenschutzbeauftragte Stefan Walz 1994 auf der FIfF-Jahrestagung gehalten hat.
Der Datenschutz spielt auch eine zentrale Rolle im aktuellen Teil. Marie-Theres Tinnefeld stellt die wesentlichen Knackpunkte der aktuellen Debatte zum Beschäftigten-Datenschutz dar und kommentiert die letzten Entwicklungen. Armin Schmid behandelt Callshop-Meetings als Form der politischen Aktion. Dazu gibt es die gewohnten Rubriken – Ereignis-Log und EDRi-Corner – und von Göde Both einen Konferenzbericht von der Tagung Gender & ICT in Umeå/Schweden.
Wie jedes Mal wünschen wir unseren Leserinnen und Lesern auch für diese Ausgabe eine interessante und anregende Lektüre – und viele neue Erkenntnisse und Einsichten.
Stefan Hügel
für die Redaktion