Benutzerspezifische Werkzeuge
Sie sind hier: Startseite Publikationen FIfF-Kommunikation FK Jhrg 2011 FK 1/2011 Brief an das FIfF - Von konservativen Werten
 

Brief an das FIfF - Von konservativen Werten

FIfF-Kommunikation 1/2011 - "Wikileaks"

Liebe Mitglieder des FIfF, liebe Leserinnen und Leser,

„Ich möchte in den nächsten Jahren von der CDU/CSU kein Wort mehr über Werte hören.“ Michael Spreng, der das in seinem (empfehlenswerten) Blog Sprengsatz schreibt, ist nicht irgendwer. Unter anderem war er 2002 der Wahlkampfmanager des damaligen Kanzlerkandidaten Edmund Stoiber. Was veranlasst ihn zu einem solchen Statement? 

Dr. zu Guttenberg, natürlich. Auffallend schnell wurde ihm sein Doktortitel von der Universität Bayreuth entzogen – weil wissenschaftliche Standards nicht eingehalten worden seien. „Fehlende Fußnoten“ – früher hieß so etwas mal „abschreiben“. Zuvor hatte er bereits selbst vorsorglich seinen Verzicht erklärt. Interessant wäre jetzt noch zu wissen, wie es passieren konnte, dass eine Promotion, bei der nach so kurzer Prüfung offenbar bereits solche Mängel festgestellt wurden, zunächst mit summa cum laude bewertet wurde. 

Zu Guttenbergs Beliebtheit tat das erst einmal keinen Abbruch. Nicht zuletzt dank einer massiven Kampagne in der Boulevardpresse schien seine Zustimmung in der Bevölkerung ungebrochen. Auch seine Parteifreunde standen mit deutlich überwiegender Mehrheit zu ihm. Law-and-Order-Politiker, die sonst schnell nach Bestrafung und Verschärfung der Gesetze rufen, haben ihn verteidigt – auch mit dem Hinweis, dass es ja schließlich Wichtigeres gäbe, als ein paar fehlende Fußnoten in einer Doktorarbeit. Nebenbei wird dazu auch noch der tragische Tod dreier Soldaten in Afghanistan instrumentalisiert. Wird sich ein kleiner Ladendieb künftig darauf berufen können: Alles nicht so schlimm; schließlich werden an anderer Stelle Menschen umgebracht?

Letztlich musste zu Guttenberg dennoch zurücktreten. Doch eins hat die Debatte wieder überdeutlich gezeigt: die „konservativen Werte“(TM) gelten meist nur für die anderen.

Erinnert sich noch jemand daran, wie gefährlich das Weihnachten war, das wir letztes Jahr erlebt haben? Im November trat Innenminister de Maizière mit sorgenumwölkter Miene vor die Kameras und gab eine Terrorwarnung heraus: Besonders große Menschenansammlungen – wie bei Weihnachtsmärkten – seien gefährdet.

Nun kann es sicher nie ausgeschlossen werden, dass ein Terroranschlag, auch in Deutschland, stattfindet. Das Manöver wirkte aber sehr durchsichtig: Die Terrorwarnung wurde wenige Tage vor der Innenministerkonferenz herausgegeben, und der Ruf der bekannten innenpolitischen Hardliner nach der Vorratsdatenspeicherung und weiteren Verschärfungen ließ dann auch nicht lange auf sich warten.

Die Bevölkerung reagierte dennoch besonnen auf die Panikmache aus Berlin. Es gab keine menschenleeren Weihnachtsmärkte. Und was die demonstrativ zur Schau getragene Polizeipräsenz gegen einen tatsächlichen Anschlag hätte ausrichten können, sei einmal dahingestellt. Wie zuverlässig der damalige Informant war, ist wohl inzwischen auch nicht mehr ganz klar. 

Dennoch scheint die Debatte um die Vorratsdatenspeicherung langsam zu kippen. Nachdem zunächst der Bundesdatenschutzbeauftrage Peter Schaar sich für eine „Vorratsdatenspeicherung light“ (aka „Quick freeze plus“) ausgesprochen hat, scheint nun auch Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger die Seiten zu wechseln. Offensichtlich zeitigen die gebetsmühlenartig vorgetragenen Forderungen der Protagonisten Wirkung. Inzwischen gibt es sogar Befürworter an Stellen, an denen man sie überhaupt nicht erwartet hätte. Nochmal zum Mitschreiben: Die Datenspeicherung an sich ist das Problem, nicht ihre Dauer! Schön, dass eine Veröffentlichung von Malte Spitz nochmals deutlich vor Augen geführt hat, welch erheblichen Einbruch in die Privatsphäre die Vorratsdatenspeicherung bedeutet. 

Erfreulich dagegen, dass der Versuch von EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström, Netzsperren per Richtlinie europaweit durchzusetzen, zumindest vorläufig gescheitert ist. Die engagierte Arbeit von EDRi – European Digital Rights – hat sich gelohnt. 

Der letzte Aufreger der vergangenen Wochen: Wikileaks. Einige Veröffentlichungen haben womöglich mehr enthüllt als beabsichtigt: So mancher Politiker – hauptsächlich in den USA – ließ die rechtsstaatliche Maske fallen und forderte die Todesstrafe für einzelne Beteiligte. Vor allem Konservative taten sich hier hervor, womit wir wieder bei den Werten angelangt wären. In die Diskussion mischen sich die Trennung mehrerer Aktiver von Wikileaks, die Vorwürfe gegen Julian Assange und die Äußerungen Beteiligter in der Presse, bei denen Außenstehende kaum mehr zwischen sachlich berechtigter Kritik und dem Austragen von Rivalitäten unterscheiden können. Der Boulevard kommt dabei zumindest auf seine Kosten. Wichtiger ist jedoch, was der frühere US-Botschafter John C. Kornblum auf den Punkt bringt: Wikileaks habe „der Öffentlichkeit dramatisch vor Augen geführt ..., wie radikal und mit welchen Folgen sich unser Umgang mit Informationen zu Beginn des 21. Jahrhunderts verändert.“ Dieser Aspekt sollte trotz persönlicher Rivalitäten nicht untergehen. 

Was passiert einstweilen im FIfF? Im Januar haben wir eine Stellungnahme zur geplanten Novelle der EU-Datenschutzrichtline abgegeben – nachzulesen in diesem Heft. Auf dem Chaos Communication Congress waren wir präsent: mit einem Stand und einem Vortrag zu INDECT, gehalten von Sylvia Johnigk

Gleichzeitig laufen bereits wieder die Vorbereitungen auf die nächste Jahrestagung, die im November in München stattfinden wird. Auch unseren Studienpreis werden wir dabei wieder verleihen – wenn Ihr in den letzten zwei Jahren eine (Abschluss-)arbeit geschrieben habt, die Ihr einreichen wollt, seid Ihr bis 31. Mai 2011 herzlich dazu eingeladen. Beiträge von zwei Preisträgern des letzten Jahres sind in diesem Heft nachzulesen.

Mit fiffigen Grüssen

Stefan Hügel