Offener Brief: Ausreichende Fristen für Verbändebeteiligung
18.12.2020: Gemeinsamer offener Brief an die Bundesministerien
Sehr geehrte Bundesminister*innen,
die Beteiligung von Zivilgesellschaft und Verbänden an Gesetzgebungsprozessen ist ein elementarer Bestandteil unserer Demokratie. Deshalb ist in § 47 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO) auch eine „möglichst frühzeitige“ Zuleitung an Verbände vorgesehen.
Leider werden seitens der Bundesministerien in zunehmendem Maße Stellungnahmen zu Gesetzesvorschlägen in weniger als drei Arbeitswochen – teilweise von gerade einmal wenigen Werktagen – erwartet. Trauriger Tiefpunkt waren im Dezember 2020 die Anfragen zu Stellungnahmen für den 4. Referentenentwurf zum IT-Sicherheitsgesetz 2.0 mit einer Kommentierungsfrist von 28 Stunden (bei 108 Seiten) und zur Novellierung des Telekommunikationsgesetzes mit einer Frist von 2 Tagen (bei 465 Seiten).
Wir, die unterzeichnenden Vereine, Stiftungen, Initiativen und Verbände dieses Briefes, fordern Sie als Ressortleiter*in auf, die Verbändebeteiligung als wichtiges Werkzeug demokratischer Teilhabe zukünftig wieder ernsthafter zu verfolgen. Die Einbindung von Zivilgesellschaft und Verbänden liefert wichtige inhaltliche Anregungen, ermöglicht es, Meinungen und Expertise aus Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft einzuholen und wirkt der zunehmenden Spaltung der Gesellschaft und der Politikverdrossenheit entgegen. Wir sehen daher folgenden Handlungsbedarf:
1. Angemessene Fristen für die Kommentierung von Gesetzesentwürfen
Expertise benötigt Zeit. Unser Anspruch ist, Ihnen fundierte Rückmeldung aus unseren jeweiligen Fachgebieten zu den Gesetzgebungsvorhaben zu liefern. Die Einbeziehung unserer Fachexpert*innen benötigt jedoch immer einen ausreichenden Vorlauf. Dies gilt insbesondere für Organisationen, die auf dem Engagement Ehrenamtlicher fußen. Diesen ist es rein organisatorisch nur schwerlich möglich, eine fundierte Stellungnahme innerhalb weniger Tage auszuarbeiten.
Wir erwarten daher, bei allen künftigen Gesetzgebungsprozessen mindestens vier Arbeitswochen für die Anfertigung von Stellungnahmen einzuräumen. Die Bemessung der Frist sollte sich zudem an der Länge eines Entwurfes orientieren. Denkbar wäre eine Festschreibung von je einer Woche für je 50 Seiten Entwurfsdokument, nicht jedoch weniger als vier Wochen.
2. Bereitstellung von Synopsen zur besseren Vergleich- und Nachvollziehbarkeit
Insbesondere wenn, wie im Falle des IT-Sicherheitsgesetzes 2.0, innerhalb weniger Wochen neue Referentenentwürfe geteilt werden, sollte den Anfragen nach Stellungnahme eine Synopse zur vorherigen Version zur besseren Nachvollziehbarkeit der Änderungen beigefügt werden.
3. Veröffentlichung der Referentenentwürfe auf den Websites der Ministerien
Im Sinne eines transparenten Gesetzgebungsprozesses sollten sämtliche Referentenentwürfe, für die Stellungnahmen bei Verbänden eingeholt werden, und Synopsen öffentlich zugänglich sein. Die Entwürfe sollten zeitgleich mit ihrem Versand an die Verbände auf den Websites der Bundesministerien veröffentlicht werden.
4. Eine Öffnung des Partizipationsprozesses
Die Beteiligung der Zivilgesellschaft sollte weiter vereinfacht werden. Nach dem Vorbild der Online-Konsultationsverfahren der Europäischen Union sollte neben der Veröffentlichung aller Referentenentwürfe und Synopsen auch die Kommentierungsmöglichkeit für weitere zivilgesellschaftliche Akteure geöffnet werden. Bisher handelt es sich um eine intransparente Auswahl durch die federführenden Ministerien.
Sehr geehrte Bundesminister*innen, wir verstehen unsere Vorschläge als Beitrag zu einem demokratischeren, kooperativeren und inklusiveren Gesetzgebungsprozess und sehen hinsichtlich der Einräumung längerer Kommentierungsfristen dringenden Handlungsbedarf. Anbei finden Sie eine exemplarische Auflistung vergangener Gesetzgebungsvorhaben mit unzureichenden Fristen.
Mit freundlichen Grüßen
- Gesellschaft für Informatik e.V. (GI) und
- BITMi – Bundesverband IT-Mittelstand e.V.
- Chaos Computer Club (CCC)
- D64 – Zentrum für digitalen Fortschritt e. V.
- Digitale Gesellschaft e.V.
- eco – Verband der Internetwirtschaft e. V.
- Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF) e. V.
- Gesellschaft für Datenschutz und Datensicherheit (GDD) e. V.
- IEN Initiative Europäischer Netzbetreiber
- IfKom - Ingenieure für Kommunikation e. V.
- LOAD e.V. - Verein für liberale Netzpolitik
- Open Knowledge Foundation Deutschland
- Stiftung Neue Verantwortung
- Transparency International Deutschland e.V.
- Verbraucherzentrale Bundesverband e. V.
Anhang – Exemplarische Auflistung von Gesetzgebungsvorhaben mit unzureichenden Kommentierungsfristen
BMI | Zweites Gesetz zur Erhöhung der Sicherheit informationstechnischer Systeme (IT-Sicherheitsgesetz 2.0 – IT-SiG 2.0)
Frist: 09.12.2020 – 10.12.2020, 28 Stunden
BMWi,
BMVI | Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2018/1972 des
Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2018 über den
europäischen Kodex für die elektronische Kommunikation und zur
Modernisierung des Telekommunikationsrechts
(Telekommunikationsmodernisierungsgesetz)
Frist: 09.12.2020 – 11.12.2020, 2 Tage
BMWi,
BMI | Referentenentwurf für ein Gesetz zur Änderung des
E-Government-Gesetzes und zur Einführung des Gesetzes für die Nutzung
von Daten des öffentlichen Sektors
Frist: 17.12.2020 - 12.01.2021, 25 Tage (davon 14 Werktage)
BMU | Gesetz zur Änderung des Umweltstatistikgesetztes und anderer Gesetze
Frist: 04.11.2020 – 13.11.2020, 10 Tage (davon 8 Werktage)
BMI | Gesetz zur Digitalisierung von Familienleistungen
Frist: (Änderungsantrag bis Anhörung): 2.10.2020 - 26.10.2020, 24 Tage (davon 15 Werktage)
BMWi | Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes und weiterer energierechtlicher Vorschriften ("EEG 2021")
Frist: 14.09.2020 - 17.09.2020, 4 Tage
BMI
| Gesetz zur Einführung einer Identifikationsnummer in die öffentliche
Verwaltung und zur Änderung weiterer Gesetze
(Registermodernisierungsgesetz - RegMoG)
Frist: 11.08.2020 – 04.09.2020, 24 Tage (davon 19 Werktage)
BMG | Verordnung zur Neufassung der Datentransparenzverordnung und zur Änderung der Datentransparenz-Gebührenverordnung
Frist: 13.05.2020 – 22.05.2020, 10 Tage (davon 8 Werktage)
BMWi
| Entwurf für notwendige Anpassungen des Wettbewerbsregistergesetzes
(im Rahmen des laufenden Gesetzgebungsverfahrens zum
GWB-Digitalisierungsgesetz)
Frist: 03.03.2020 - 12.03.2020, 10 Tage (davon 8 Werktage)
BMG | Gesetz für eine bessere Versorgung durch Digitalisierung und Innovation (Digitale Versorgung-Gesetz)
Frist: 16.05.2019 – 07.06.2019, 22 Tage (davon 17 Werktage)
BMG
| Verordnung über das Verfahren und die Anforderungen der Prüfung der
Erstattungsfähigkeit digitaler Gesundheitsanwendungen in der
gesetzlichen Krankenversicherung
(Digitale-Gesundheitsanwendungen-Verordnung - DiGA V)
Frist: 04.02.2019 – 19.02.2019, 16 Tage (davon 12 Werktage)
BMJV | Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (2017)
Notifizierung an die EU sogar noch vor Eintreffen der Stellungnahme
Bei Fragen zu diesem offenen Brief wenden Sie sich bitte an
Rainer Rehak: E-Mail: rainer [punkt] rehak [ät] fiff.de
Betreff: „Offener Brief Verbändebeteiligung vom 18.12.2020“
PGP: 0D66 63E5 70A3 964A EE60 D927 4427 CFE5 8C19 AE19
Über das FIfF
Das Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF) e. V. ist ein deutschlandweiter Zusammenschluss von Menschen, die sich kritisch mit Auswirkungen des Einsatzes der Informatik und Informationstechnik auf die Gesellschaft auseinandersetzen. Unsere Mitglieder arbeiten überwiegend in informatiknahen Berufen, vom IT-Systemelektroniker bis hin zur Professorin für Theoretische Informatik. Das FIfF wirkt in vielen technischen und nichttechnischen Bereichen der Gesellschaft auf einen gesellschaftlich reflektierten Einsatz von informationstechnischen Systemen zum Wohle der Gesellschaft hin. Zu unseren Aufgaben zählen wir Öffentlichkeitsarbeit sowie Beratung und das Erarbeiten fachlicher Studien. Zudem gibt das FIfF vierteljährlich die „FifF-Kommunikation – Zeitschrift für Informatik und Gesellschaft“ heraus und arbeitet mit anderen Friedens- sowie Bürgerrechtsorganisationen zusammen.