Vom kritischen Verhältnis zur Berufspraxis in der Informatik
Ergebnisse einer Befragung (FIFF-Ko 1/2000) von Eva Hornecker & Peter Bittner
Welche Möglichkeiten gibt es in der Berufspraxis sozial verantwortlich zu handeln? Bleibt von den Idealen, die mit "Informatik und Gesellschaft", Datenschutz, partizipativen Methoden etc. verbunden werden, im Berufsalltag etwas übrig?
Schon eine ganze Weile hatten wir mit dem Gedanken gespielt, zu diesem Thema einen Schwerpunkt der FIfF-Kommunikation zu initiieren. Wir waren hin und her gerissen: Würden wir überhaupt Autoren finden? Wer würde dazu etwas zu sagen haben? Daß es sowenig Literatur zu dieser Frage gab, war bestimmt kein Zufall.(1) Andererseits schien es uns langsam Zeit, es in Angriff zu nehmen, einen Anfang zu machen. Dabei war es uns wichtig, auch auf Handlungsmöglichkeiten im Kleinen aufmerksam zu machen. Große Theorien und ethische Konzeptionen gab es u.E. genug. Dann kam uns die Idee, zunächst eine Umfrage zu machen, als eine Art "Testballon", um die Resonanz zu testen und potentielle Autoren und Autorinnen zu finden.
Wir schickten unsere Umfrage Anfang Februar 1999 per E-Mail an die FIfF-Liste und ließen sie über einige andere Listen verteilen (frauen-inform, GI-Regionalgruppenleiter). In der Umfrage thematisierten wir Möglichkeiten, in der Berufspraxis sozial verantwortlich zu handeln und die Hindernisse, die dem entgegenstehen. Wir hofften, Hinweise auf Handlungsspielräume zu erhalten, Erfahrungsberichte, die als Beispiel dienen, die Mut machen oder als Präzedenzfall dienen können, Tips, aber auch Warnungen und praktische Beispiele für Dilemmata.
Die Kernfragen der Umfrage:
1. | Was wird in der Berufspraxis aus dem kritischen Verhältnis zur Informatik und dem Vorsatz, sozial verantwortungsvoll zu handeln? |
2. | Kann man ohne Berufspraxis überhaupt ein kritisches Verhältnis zur Informatik entwickeln? |
3.1. | Welche Möglichkeiten gibt es, in der Berufspraxis sozial verantwortungsvoll zu handeln? |
3.2. | Welche Auswirkungen hat es, wenn man dies im Beruf in die Tat umsetzt? |
3.3. | Gibt es Firmenpolitiken, die ein sozial verantwortungsvolles Verhalten fördern? |
4. | Woher kommen die positiven Beispiele? |
5.1. | Führt der Berufseinstieg automatisch zur Desillusionierung in Bezug auf Themen wie "Informatik und Gesellschaft" oder "Kritische Informatik"? |
5.2. | Wie reagieren einzelne Personen auf diese Desillusionierung (wenn sie stattfindet)? |
6.1. | Kann man von kritischer Informatik als Beruf leben? |
6.2. | Kann man dies außerhalb von Datenschutz und IT-Sicherheit? |
6.3. | Unterscheiden sich selbständige und abhängige Tätigkeit in den Möglichkeiten, sozial verantwortungsvoll zu handeln? |
7. | Wie kann man die Situation ändern und das Handlungsspektrum vergrößern? |
In den Formulierungen der Umfrage spiegelt sich unsere eigene Gespaltenheit im Umgang mit der Fragestellung wider. Einerseits wissen wir um die realen Schwierigkeiten im Berufsalltag und wollen diese merkbar anerkennen. Ein Ziel war es, explizit nach diesen Schwierigkeiten und Hindernissen zu fragen. Dagegen stand unsere Intention, zu positiven Antworten aufzufordern und mit der Umfrage zu motivieren, über vorhandene Möglichkeiten nachzudenken. Etliche Antworten kritisierten Formulierungen unserer Umfrage, die zu negativ wirkten: "Schon wieder so eine depressive Frage". Es haben sich jedoch mehrere Personen trotz ihrer an den Formulierungen geäußerten Kritik nicht von einer ausführlichen Beantwortung abschrecken lassen. Einigen blieb der Hintergrund und das Ziel der Umfrage unklar. Zu diesem Zeitpunkt wollten wir jedoch noch den Rücklauf abwarten, bevor wir über das weitere Vorgehen entschieden. p>Unsere Hoffnung auf Beiträge, die Handlungsspielräume aufzeigen und Erfahrungsberichte enthalten, hat sich nicht ganz erfüllt - frustrierte pessimistisch gehaltene Antworten kamen mehrere - zudem sind 13 Rückläufe eine eher magere Ausbeute. Dem gegenüber stand das Interesse am Thema, welches sich in mehreren Zuschriften artikulierte, die zwar nicht auf die Umfrage selbst antworteten, aber großes Interesse an deren Ergebnissen äußerten. Möglicherweise spiegelt der mäßige Rücklauf die allgemeine Ratlosigkeit wider sowie die Überlastung vieler Praktiker, die gar nicht mehr die Muße finden, solche (Um-)Fragen zu beantworten. Wir konnten jedoch Personen in den unterschiedlichsten beruflichen Situationen ansprechen. Wir erhielten Antwort von Berufsanfängern, von langjährigen Praktikern, von Leuten aus dem Hochschulbereich, die mittlerweile in der Industrie arbeiten, und von Selbständigen. Die Antworten deckten - aus unserer Sicht - zudem ein breites, facettenreiches Spektrum an Haltungen ab. Charakteristische Merkmale dieser Haltungen schienen uns der Grad an Motiviertheit und der Umgang mit dem Verlust von Illusionen sowie die Art dieser Illusionen zu sein.
Einige Teilnehmer äußerten sich deutlich zynisch. Diese Personen sehen wenig Möglichkeiten zum verantwortlichen Handeln, verwenden ironisch-polemische Bemerkungen und sagen häufig selber, sie seien zynisch geworden. Zynismus als Ausweg, um mit Widersprüchen zwischen Anspruch und Realität umgehen zu können? Andere bezeichnen sich selber als desillusioniert, sehen nur wenige Möglichkeiten, greifen aber nicht zu zynischen Formulierungen. Wieder andere Umfrageteilnehmer beschrieben sich als motiviert zu verantwortlichem Handeln oder lassen diese Haltung erkennen, indem sie auf Handlungsspielräume hinweisen. Einige Antworten lassen sich als deutlich desillusioniert, aber motiviert beschreiben. Sie beklagen die geringen Einflußmöglichkeiten, sind gelegentlich fatalistisch, zeigen Anzeichen von Frust und äußern dennoch Willen und Hoffnung, verantwortungsvoll zu handeln. Der Begriff der Desillusionierung läßt sich auch positiv interpretieren als eine realistische, nicht- naive Sicht der Dinge. Dies umfaßt auch das Erkennen realistischer Einflußmöglichkeiten und die Aufrechterhaltung von Idealen. Mehrere Personen schienen in diesem Sinne illusionslos, aber motiviert zu sein.
Hinzu kommen mehrere Antworten, die eine andere Ebene oder Sichtweise einnehmen. Zwei Personen meinten, die Verantwortung von Informatikern sei identisch zu der in anderen Berufssparten. Eine Zuschrift antwortet uns auf der Ebene der Gesellschaftskritik und verneint die Möglichkeit einer positiven Beantwortung unserer Fragen. Eine andere betont das soziale Eingebundensein im Beruf als Form sozialer Verantwortung und sozialen Erlebens, durch das man erst lernen müsse, die eigene Umgebung als sozialen Raum zu begreifen und damit Technik als sozial eingebettet.
Die Ergebnisse der Umfrage lassen sich nicht verallgemeinern. Das ergibt sich schon aus der geringen Anzahl der Antworten. Wir müssen zudem davon ausgehen, daß nur solche Personen geantwortet haben, die das Thema der Umfrage interessierte. Es stellen sich daher folgende weiterführenden Fragen: Welche Haltungen sind in informationstechnischen Berufen verbreitet und wie könnte man zu unseren Fragen zu "repräsentativen" Antworten kommen?
In der Form der Antwort bestanden große Unterschiede. Manche beantworteten jede Frage ausführlich und einzeln, andere bezogen sich nur auf einen Teil der Fragen, einige antworteten auf die Umfrage als Ganzes, ohne die Fragenkomplexe voneinander zu trennen. Auch wenn es keine statistisch aussagekräftigen Ergebnisse der Umfrage geben kann, gibt es für uns "impressionistische" Ergebnisse - Farbkleckser, Schlaglichter, Eindrücke und Erlebnisse, die eine bisher weiße Leinwand strukturieren. Daher werden wir in der Auswertung vornehmlich die Antworten für sich selber sprechen lassen. In der Reflektion der Ergebnisse ergaben sich für uns eine Reihe weiterführender Fragen, die ebenfalls einfließen. Die Reihenfolge der Themen orientiert sich dabei nur lose an der ursprünglichen Umfrage und folgt den in der Auswertung entdeckten Schwerpunkten. Beispielsweise haben wir die genannten konkreten Möglichkeiten zum sozial verantwortlichen Handeln von den allgemeinen Stellungnahmen dazu getrennt.
Zur Frage sozial verantwortungsvollen Handelns im Beruf
Wie eingangs erwähnt, zeigen die Antworten ein sehr breites Spektrum an Haltungen. Einige äußern sich eher zynisch zu den Möglichkeiten verantwortlichen Handelns: "Keine direkten, außer eine andere Berufswahl. Hey, Informatiker sind Jobkiller!!!" Diese Personen sehen konkrete Möglichkeiten vor allem außerhalb der rein beruflichen Tätigkeit. Umgekehrt beschreiben sich einige Personen als motiviert, obgleich sie ihre Illusionen verloren hätten, und benennen konkrete Möglichkeiten im Beruf.
Einige Teilnehmer der Umfrage vertreten die Ansicht, daß Informatiker und Informatikerinnen eine ähnliche Verantwortung haben und ähnliche Möglichkeiten, diese zu erfüllen, wie Menschen in anderen Berufen. Da wir nicht zu Stellungnahmen hierzu aufgefordert hatten, können wir natürlich keine Aussage darüber treffen, wie verbreitet diese Ansicht ist. "Die soziale Verantwortung im IT-Bereich ist m.E. vergleichbar mit der anderer Bereiche. Bedingt durch die Sicherheit des Arbeitsplatzes und relativ guten Gehälter glaube ich, daß die Verantwortung für soziale Belange anderer sogar etwas besser ist. Im Hinblick aber auf die Folgen der Tätigkeit im IT-Bereich fehlt ein Überblick über die Folgen der erstellten Systeme. Hier fehlt zum einen der Überblick, zum anderen gibt es auch bei Projekten keine Betrachtung der Technikfolgenabschätzung. (...) Es gibt dieselben Möglichkeiten, die jeder andere Angestellte in anderen Bereichen hat – Nicht mehr aber auch nicht weniger." Der Autor der Zuschrift erläutert im weiteren Verlauf, wie sich diese Möglichkeiten (trotz prinzipieller Vergleichbarkeit der Verantwortung) für den Bereich der Informatik konkret ausprägen. Eine weitere Antwort auf unsere Umfrage bestand nur in dem Statement: "In der Berufspraxis "kann" man nicht nur sozial verantwortungsvoll handeln, die meisten "tun" das auch. Ich glaube aber nicht, daß sich das durch Umfragen bestätigen oder widerlegen l&äßt, sondern am Besten dadurch, daß man sich selbst in diese Berufspraxis begibt." Die damit verbundene Haltung war schwierig für uns einzuschätzen. Es kann sich um Unverständnis für unsere Umfrage handeln, denn die Antwort gibt keinen Hinweis auf die konkreten Möglichkeiten zum sozialverantwortlichen Handeln, sondern postuliert dessen Alltäglichkeit. Man kann darin die implizite Aufforderung an uns lesen, nicht zu theoretisieren, sondern selber in die Praxis zu gehen. Es kann sich auch um ein knappes Statement eines Praktikers handeln, in dem nicht zwischen den Zeilen interpretiert werden sollte.
Ein Teilnehmer der Umfrage kontert unsere Frage nach den Möglichkeiten verantwortlichen Handelns: "Die Frage unterstellt, daß man durch die ökonomische Zwänge determiniert wird. Ökonomie hat durchaus zwei Seiten, man hat Einfluß. Man muß nicht alles machen. Die Grenzen sind da gesteckt, wo die Betriebswirte das Sagen haben. (...) Informatikern wird zugestanden, eine persönliche Haltung gegenüber Technologien zu haben. Umgekehrt sehen Führungskräfte in den Informatikern wohl häufig einen unkontrollierbaren Haufen." Ihm sind unsere Fragen nicht differenziert genug: "Meist läßt sich verantwortliches Handeln doch gar nicht scharf konturieren, weil es in einem Gemengelage verschiedenster Bestrebungen immer auch im Verdacht steht, doch nur dem eigenen Vorteil zu nützen. (...) Soziale Verantwortung entspringt aus dem Bestreben, es sich mit den anderen nicht zu verderben, wobei die 'anderen' tendenziell alle sind, und nicht nur die Bosse. Das ist im übrigen etwas ganz anderes als moralische Verantwortung, die ich ganz allein trage. Die rührt aus einer Empfindsamkeit für meine Mitmenschen." Andere Zuschriften betonen z.B. den Einfluß des Umfeldes, in dem man arbeitet: "In großen Unternehmen (mit festen Regeln und starken Betriebsräten) und sehr kleinen Unternehmen (wo täglich alle mit allen zu tun haben) gibt es mehr Möglichkeiten." Bei Entscheidungen spielen auch ökonomische und politische Gründe eine Rolle: "Wenn ich/meine Firma Verträge mit anderen hat, bestimmte Sachen fokussiert zu verkaufen, kann ich nicht umhin, dieses Produkt zu empfehlen. Auch wenn vielleicht ein anderes gerade besser wäre." Aus diesen Antworten ergibt sich für uns beispielsweise die Frage, ob die Möglichkeiten zum verantwortlichen Handeln in großen Unternehmen wirklich größer sind und welche Rolle Betriebsräte spielen.
Weitere Unterschiede finden sich darin, wie der Begriff sozial verantwortlichen Handelns interpretiert wird. Eine Person richtet die Aufmerksamkeit auf das soziale Eingebundensein im Beruf als Form sozialer Verantwortung und Erlebens, das den Blick auf Technik verändern könne. Abstrakte Erkenntnisse über Ethik oder gesellschaftliche Folgen der Informatik blieben realitätsfern: "Arbeit ist in der Berufspraxis eben, anders als im Studium, immer Zusammenarbeit, und ich muß auf die Schwächen meiner Kollegen Rücksicht nehmen. Was sich zunächst als Desillusionierung ausnimmt, ist in Wahrheit die erste Voraussetzung für soziales Handeln, nämlich die Umgebung als sozialen Raum begreifen zu müssen. Technik wird auf einmal als sozial eingebettet erlebt. (...) Ich würde inzwischen eher dem Studium vorwerfen, keinen Zwang zur sozialen Wahrnehmung auszuüben. Ein Student ist viel eher geneigt, Technik als Selbstzweck und von jeder sozialen Einbindung abgelö;st zu begreifen, als ein in der Gesellschaft stehender 'fertiger' Informatiker." Ein anderer Autor hält es für unmöglich, in der bestehenden Gesellschaftsform verantwortlich zu handeln: "Ich hatte meine Berufspraxis verständlicherweise ohne Vorsatz 'verantwortungsvoll zu handeln' begonnen, da ich bereits im Studium feststellte, daß Verantwortung nur da getragen werden kann, wo die Mittel sie wahrzunehmen auch dem 'Verantwortlichen' zur Verfügung gestellt werden. Diese Mittel heißen aber selbstbestimmtes Arbeiten, Unabhängigkeit von der Notwendigkeit zur Reproduktion und heißen somit grundlegende Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse. (...) Wird 'sozial' im Sinne einer menschenwürdigen Einrichtung von Gesellschaft verstanden und die gegenwärtige nicht mit plattem Biologismus gerechtfertigt, so steht einem solchen Handeln eben die gegenwärtige (Berufs-) Praxis entgegen." Konkrete Möglichkeiten
In fast allen Zuschriften auf die Umfrage finden sich Anregungen für sozial verantwortliches Handeln im Berufsalltag sowie Hinweise auf Problembereiche. Konkrete Anregungen kommen auch von eher pessimistischen oder zynischen Personen. Die Antworten der Umfrageteilnehmer zeigen, daß sie "verantwortungsvolles Handeln" ähnlich breit wie wir verstehen. Möglichkeiten werden sowohl lokal am eigenen Arbeitsplatz gesehen (Ergonomie, Datenschutz), wie global (Teilnahme an politisch motivierten Kampagnen; Aufklärung der Öffentlichkeit).
Besonders häufig werden Datenschutz und Ergonomie als Mö;glichkeit, "soziale Verantwortung bei der Entwicklung von Produkten zu zeigen", genannt. Eine Person nennt das Arbeiten nahe an der Rechtssprechung, insbesondere dem Datenschutz, und ergänzt dies durch "nahe an gewerkschaftlichen Mitbestimmungsrichtlinien" sowie "sauber dokumentierte Policies". Ein Teilnehmer schreibt abstrakt "das Implementieren von Features zum Schutze des Anwenders". Ein anderer weist auf die bestehenden Entscheidungsspielräume hin, die man nutzen könne, um z.B. benutzerfreundliche Software zu entwickeln: "In SW-Projekten gibt es meist die Möglichkeit, auf Datenschutz-gerechte Gestaltung und die Beteiligung der Beschäftigten/Betroffenen hin zu wirken. Allerdings: Wenn dies angesichts des Zeitdrucks, unter dem Projekte oft abgeschlossen werden müssen, nicht opportun ist, wird es leicht 'vergessen'." Dies erfordert oft Überzeugungsarbeit: "Wenn man einen Auftraggeber davon überzeugen kann, daß eine bestimmte Produktausprägung zu Vorteilen gegenüber der Konkurrenz und damit zu mehr Umsatz führt, kann man ihn bestimmt auch für neue Ideen gewinnen (betrifft Prozeß- und Produktgestaltung)." Ein Berufsanfänger berichtet von einem konkreten Fall: "Ich arbeite gerade für eine Firma im medizinischen Bereich und hab da eine Testdatenbank aufgebaut und da war es selbstverständlich, daß wir alle wesentlichen patientenbezogenen Daten eliminiert haben. Das schließt aber keine vollkommen Anonymisierung ein. Denn Personen, die mit dem Patienten zu tun hatten, wären wohl immer noch in der Lage die Daten evtl. zu identifizieren, aber mehr Anonymität ist einfach nicht möglich." Bereits vorhandene Tools bewirkten, daß wenig Zusatzaufwand für die Anonymisierung erforderlich war, so daß die Entscheidung leicht und ohne Konflikte gefällt werden konnte. Dies zeigt den Einfluß, den Firmenkultur, Tradition und vorhandene Arbeitswerkzeuge auf Entscheidungsmöglichkeiten haben. Nicht zuletzt gibt es die Möglichkeit der "Arbeitsverweigerung" für bestimmte Aufgaben, wie eine Person feststellt.
Auch die Art des Arbeitens kann verantwortlich gestaltet werden, sei es die eigene wie die Zusammenarbeit mit Kunden und Anwendern. Genannt werden als Stichworte "Benutzerpartizipation" und "selbstorganisierende Gruppen". Mehrere Antworten weisen auf die Option hin, sich im Betriebsrat zu engagieren. Auch die Art des Umgangs mit den Kollegen fällt in den Bereich verantwortlichen Handelns: "Arbeit ist in der Berufspraxis eben, anders als im Studium, immer Zusammenarbeit, und ich muß auf die Schwächen meiner Kollegen Rücksicht nehmen." Auf die sozialen Konflikte, in die man automatisch gerate (da die Produkte der eigenen Arbeit in sozialen Kontexten entstehen und für ebensolche gedacht sind) mit Zynismus zu reagieren, helfe nicht, man solle "Moderatorenrollen in realen Konflikten anstreben".
Eine interessante weiterführende Untersuchungsfrage wäre unserer Ansicht nach, wo und wie sich "Sozialverträglichkeit" (prozeß- wie produktbezogen) als Mehrwert verwerten läßt.(2) Die Ergebnisse würden Argumentationshilfen gegenüber Auftraggebern und Arbeitgebern liefern.(3) Z.B. könnte eine Sammlung von Beispielfällen wirtschaftlich erfolgreicher sozialverträglicher Systeme bzw. nicht-sozialverträglicher Systeme, die an diesem Umstand scheiterten, sinnvoll sein.
Als weitere Möglichkeiten verantwortungsvollen Handelns wird z.B. "Projektengagement in 3. Welt Ländern" genannt, wobei offen blieb, ob berufliche Projekte oder außerberufliches Engagement gemeint sind. In den Bereich "politischer" (Kampagnen-)Arbeit fallen die "free speech campaign" und der "Kampf gegen die Spammer". Zudem könne man "regelmäßig in der Öffentlichkeit über Praktiken berichten, Vorträge halten, die Entscheidungsebene in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft qualifizieren". Ein Teilnehmer sah seine Verantwortung darin, im persönlichen Umfeld: "Verständnis vor allem bei Nicht-Informatikern/Technikern für Informatik zu wecken, vor allem über Risiken aufzuklären (z.B. unverschlüsselte EMail). Das erfordert aber psychologisches Geschick, das nicht an der Uni vermittelt wird." Einige Zuschriften wiesen uns darauf hin, daß sich soziale Verantwortung zum Teil in unerwarteten Formen äußere. So sei es oft eine "politische" Entscheidung, welche Unternehmen durch den Kauf ihrer Produkte unterstützt würden. Dies sei auch innerhalb von Firmen Politikum, wenn beispielsweise ganze Abteilungen insgeheim ein Produkt boykottieren, weil sie die Monopolmacht des Herstellers mißbilligen, das die Geschäftsführung dahingegen unterstützt.(4) Ähnliches gelte für fachliche Aufgaben wie die Anpassung an den Euro oder das Jahr 2000: "Übrigens kann man den Dauereifer in Sachen Euro und Y2K durchaus einer sozialen Verantwortung zuschreiben.", getrieben von der Furcht vor schweren Schäden (wirtschaftlich und an Personen) und um das Renommee des Berufsstands.
Der Stellenwert der Berufspraxis
Die Antworten auf die Umfrage zeigen sehr unterschiedliche Meinungen dazu, ob man ohne Berufspraxis ein kritisches Verhältnis zur Informatik gewinnen kann. Die meisten meinen, man könne dies - allerdings bleibe die Sichtweise dabei distanziert und "simplizistisch". Dafür aber sei man frei, sie zu entwickeln. Über die ursprünglich gestellte Frage hinaus fanden wir weitere Aussagen zum Stellenwert der Berufspraxis und zu ihren Auswirkungen auf die eigene Wahrnehmung und Haltung. Ein Selbständiger (um die 50 Jahre) betont den Nutzen der Berufspraxis: "Wenn man glaubwürdig bei den Praktikern sein will, ist eine fehlende Berufspraxis auf jeden Fall sehr hinderlich. Ich persönlich habe bei mir mehrfach festgestellt, daß ich den Meinungen von Informatikern, die ihre kritische Haltung zur Informatik zum Beruf gemacht haben, mit großer Skepsis gegenübertrete." Dem steht die Beobachtung eines anderen Befragten gegenüber, daß man "direkt nach dem Studium bestimmt genug damit zu tun hat, seinen eigenen Platz im Berufsleben zu finden. Und dann geht es ganz schnell, daß die Berufspraxis so über einen hereinbricht, daß einfach keine Zeit mehr bleibt, sich Gedanken über das zu machen, was man da eigentlich macht. Wer dann auch noch 'karriereorientiert' ist, (...) für den bleibt kaum Zeit, sich um die eigene Familie zu kümmern, geschweige denn, sich kritische Gedanken zu machen. Die wären einem beruflichen Weiterkommen ohnehin nur hinderlich." Eine ganz andere Einschätzung fand sich in einer anderen Antwort. Durch die Berufspraxis werde man erst wirklich mit den gesellschaftlichen Konflikten konfrontiert, daher sei diese notwendig zum Erlernen sozialen Handelns: "Dagegen erlebt man im Beruf erst die wahre Bedeutung von sozialen Gegenständen, man wird mit ihnen unweigerlich konfrontiert. Studium findet ja doch etwas außerhalb der Gesellschaft statt. (... man erfährt:) Daß Gesellschaft z.B. dadurch bestimmt wird, daß Forderungen verschiedener Gruppen aufeinandertreffen, und dies ausgetragen wird. Auf die Gesellschaft kann man jetzt nicht mehr von außen gucken, man steckt drin. (... ...) Natürlich gibt es Desillusionierungen beim Berufseinstieg, aber die beruhen darauf, daß man verpflichtet wird, mit seinen Kollegen zusammenzuarbeiten. Das ist geradezu eine primäre soziale Erfahrung für Informatiker (...).Was sich zunächst als Desillusionierung ausnimmt, ist in Wahrheit die erste Voraussetzung für soziales Handeln, nämlich die Umgebung als sozialen Raum begreifen zu müssen. Technik wird auf einmal als sozial eingebettet erlebt. (... ...) Ich würde inzwischen eher dem Studium vorwerfen, keinen Zwang zur sozialen Wahrnehmung auszuüben. Ein Student ist viel eher geneigt, Technik als Selbstzweck und von jeder sozialen Einbindung abgelöst zu begreifen, als ein in der Gesellschaft stehender 'fertiger' Informatiker." Diese Antworten werfen eine Reihe von neuen Fragen auf. In der Reihenfolge der Zitate: Wenn Berufspraktiker skeptisch gegenüber Personen sind, die Kritik beruflich betreiben (sozusagen als Kritik um der Kritik willen), dann müssen wir uns fragen, wo das Fundament von "Informatik und Gesellschaft" liegt bzw. wie sich eine bessere Praxisanbindung erreichen läßt – allein schon um eine bessere Umsetzung der Erkenntnisse in die Praxis zu fördern. Des weiteren fragen wir uns, ob "Karriere versus Kritisches Verhalten" wirklich einen nicht-vereinbaren Widerspruch darstellt. Angeregt durch das letzte Zitat wäre es interessant, was genau man nur durch Berufspraxis zusätzlich über soziale Einbettung von Technik lernen kann und wie dieser Prozeß abläuft. Dies erfordert jedoch psychologische und/oder ethnomethodologische Untersuchungsmethoden.
Automatische Desillusionierung oder Teil des Lernprozesses?
In der Vorbereitung der Umfrage waren wir in Gesprächen häufig auf die Auffassung gestoßen, der sog. "Praxisschock" sei mit einer Desillusionierung in Bezug auf die eigenen Möglichkeiten zur Gestaltung des Berufsalltags, der Arbeitsweisen und -ergebnisse verbunden. Für uns stellte sich die Frage, ob dies immer so ist und wie einzelne Personen auf eine solche Desillusionierung reagieren.
Die Antworten waren sehr unterschiedlich. Manche schrieben, die Desillusionierung komme automatisch mit dem Beruf. Eine Person konstatiert nur: "Desillusionierend ist schon das Studium." Eine andere schreibt, die Desillusionierung erfolge "nicht erst bei Berufseinstieg. Na ja, liegt vielleicht daran, daß ich immer sehr viel gejobbt habe." Desillusionierung führe häufig dazu, in die "innere Emigration" zu gehen. Für eine Person fand "die Desillusionierung früher (bereits während des Studiums) statt. (...) Ohne daß dies ein Abgehen von der Radikalität meiner Position bedeuten würde. Sie hat in der gegenwärtigen gesellschaftlichen Praxis nur keinen Raum, wirksam zu werden. Kritik soll sie praktisch werden, wird selbstzerstörerisch und damit falsch. So versuche ich, die Verhältnisse durchdenkend zu begreifen. Wenn ich emotional reagiere, so reagiere ich zynisch. Aber dies ist letztlich eine Form der Notwehr." Einige sehen die Desillusionierung nicht als negativ, sondern als Teil des (notwendigen?) Lernprozesses beim Berufseinstieg, der somit nur vorübergehend frustrierend wirkt. Zynismus stellt dabei ein Mittel dar, mit den Widersprüchen umzugehen. "Natürlich gibt es Desillusionierungen beim Berufseinstieg, aber die beruhen darauf, daß man verpflichtet wird, mit seinen Kollegen zusammenzuarbeiten. (... ...) Der Berufseinstieg führt wahrscheinlich nicht mehr oder weniger wie in jeder anderen Berufssparte zur Desillusionierung." Weitere Unterschiede betreffen den Gegenstand, über den Illusionen bestanden: "Es führt, denke ich, eher zur Desillusionierung in Bezug auf die Fortschrittlichkeit der IT Branche. Die Umsetzung von Uni-Ergebnissen in die Praxis dauert teilweise recht lange." Der Berufseinstieg führe nicht automatisch zur Desillusionierung: "Nur weil mensch die Realität etwas genauer sieht, weiß mensch doch immer noch, was richtig, sinnvoll wäre. (...) Ich glaube, daß Zynismus ein Mittel ist, mit dem Widerspruch zwischen praktisch Machbarem und persönlich Gewolltem umzugehen" Hindernisse und Konsequenzen
Alle Teilnehmer, die zu diesem Punkt überhaupt etwas schrieben, sahen Hindernisse für sozialverantwortliches Handeln im Beruf, bzw. mögliche negative Konsequenzen eines Engagements.
Große Hindernisse seien Zeitnot und Arbeitsüberlast, die dazu führten, daß man nur die akut gestellten Anforderungen zu bewältigen versucht und diese nicht kritisch reflektiert, bzw. nicht freiwillig weitere Aufgaben auf sich nimmt. "Im Job ist kein Platz für direkte Kritik. Nur an der Uni hat man noch Zeit, sich darüber Gedanken zu machen." bzw. "Sie hören auf, zu denken, weil der Beruf sie 60h/Woche auslaugt (und weil sie da sonst nicht leistungsfähig wären)." Eine Person merkt an, daß unter der Arbeitslast die vorhandenen guten Vorsätze oft nicht verwirklicht werden: "Oft bleibt die Verantwortung auch einfach unter Zeitdruck (Zeit = Geld) auf der Strecke". Eine weitere bemerkt: "Ich denke vieles geht im Alltag einfach unter, wenn es nicht gleich offensichtlich ist." Zu fragen wäre nun, welche Möglichkeiten es gibt, sich dem Termindruck zu entziehen, der zudem häufig nicht der Qualität zutröglich ist. Sowohl individuelle wie kollektive Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen wären zu erörtern.
Eine Zuschrift beschreibt, daß die guten Gehälter in der Branche häufig zu einem Wandel der inneren Einstellung führten - aus kritischen Studierenden würden erfolgsorientierte Ingenieure und Jung-Manager: "Wenn Versuchspersonen Geld für eine Tätigkeit bekommen, die eigentlich ihrer Überzeugung widerspricht, wechseln sie sehr viel eher ihre Überzeugung als solche, die nicht (gut) dafü;r bezahlt werden." In der Konsequenz verlieren diese Personen die Motivation und die Überzeugung zum sozialverantwortlichen Handeln.
Zudem haben viele den Eindruck, daß kritisches Denken und Verhalten Energie von der beruflichen Aufgabe ablenkt, von Arbeitgebern nicht als positiv gewertet wird und daher der Karriere schadet. "Sich kritische Gedanken zu machen wäre einem beruflichen Weiterkommen eher hinderlich." Eine Antwort auf die Umfrage nennt als Konsequenzen kritischen Verhaltens: "Image als Nörgler, Bremser, Quertreiber; Ich habe schon erlebt, daß u.a. auch deshalb ein Kollege während der Probezeit wieder gekündigt wurde." Berufsanfänger müssen zudem erst einmal ihren Platz im Berufsleben finden, d.h. sowohl die Anforderungen bewältigen, wie sich an der Arbeitsstelle sozial integrieren und fachlich ernst genommen werden. Kritisches Verhalten erschwert diese Integration. "Es ist schwer, gegenüber älteren Kollegien als "Grünschnabel" eine eigene Meinung zu vertreten. Erfordert viel Fingerspitzengefühl, ansonsten kann's unangenehm werden: manche fühlen sich halt auf den Schlips getreten, wenn man Unix fü;r sicherer hält als NT." Polemisch schreibt eine Person: "Das Ende der Spielwiese UNI führt wohl zwangsläufig dazu nicht immer alles zu hinterfragen (oder glaubt jemand, daß ein Berufseinsteiger überhaupt Antworten auf gestellte Fragen bekommt?)"
Neben den vielfach genannten Hindernissen Zeitnot, Arbeitslast, Karriere nannten einzelne Personen weitere Punkte. Als "Motivationskiller" benennt ein Berufsanfänger die Bürokratie, und das Motto "das machen wir schon immer so". Gute Absichten werden nicht nur von Zeitnot vereitelt, sie zahlen sich oft auch nicht aus: Auch wenn man gerne benutzerfreundliche Software entwickeln will - es ist oft sinnvoller, sie kompliziert zu gestalten, "um sich selbst unabkömmlich zu machen und immer wieder herausstellen zu können, wie wichtig man doch im Projekt ist. " Ein Praktiker schreibt: "Die Inkompetenz der Vorgesetzten und wirtschaftliche Nebenbedingungen machen kritisches Verhalten praktisch kaum durchsetzbar." Dies gelte auch für Firmenchefs: "Wirtschaftlicher Druck des Wettbewerbs, der sofort und ohne Zögern auch ethisch höchst fragwürdige Dinge anbietet." Eine Person beschreibt einen konkreten Interessenkonflikt, in den sie in ihrem Beruf häufig gerä;t: "Wenn ich/meine Firma Verträge mit anderen hat, bestimmte Sachen fokussiert zu verkaufen, kann ich nicht umhin, dieses Produkt zu empfehlen. Auch wenn vielleicht ein anderes gerade besser wäre. (...) Ich kann eben einem Kunden nicht empfehlen, seine Daten bei sich im Haus zu lassen und lieber seine Leute auszubilden, anstatt den Kram outsourcen, weil das für ihn sicherer ist, wenn meine Firma/Partner am Outsourcing verdient." Es ergibt sich für uns die Frage, in welchem Verhältnis Loyalität gegenüber dem Arbeitgeber und die Verpflichtung gegenüber Kunden, wahrheitsgetreue Aussagen sowie für diesen förderliche Empfehlungen auszusprechen, stehen. Welche Möglichkeiten gibt es, mit solchen Interessenkonflikten umzugehen und welche arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen gibt es?
Obwohl alle Antworten Hindernisse wahrnehmen, sehen viele auch Spielräume und nennen an anderen Stellen Möglichkeiten zum konkreten Handeln. "Die Grenzen sind da gesteckt, wo die Betriebswirte das Sagen haben" schreibt eine Person. Auf die Frage, ob verantwortliches Handeln negative Konsequenzen habe, entgegnet sie jedoch: "Handeln ist doch kein Schwarz/Weiß-Spiel. Kommt halt darauf an, was der Einsatz ist."
Firmenpolitiken
Gibt es Firmenpolitiken, die ein sozial verantwortungsvolles Verhalten fördern? Hierzu äußerten sich alle Teilnehmer der Umfrage mehr oder minder skeptisch. Zum einen gibt es nur wenige solcher Firmenpolitiken, zum anderen ist "zu unterschieden zwischen Firmenpolitiken auf Hochglanzpapier und der, manchmal unter enormem Zeitdruck gelebten Firmenpolitik." So erzählt uns eine Person: "Manche Firmen sacken z.B. für familienfreundliche Arbeitszeitgestaltung und Frauenförderung Preise und Urkunden ein. Wenn man dann aber mal mit Leuten spricht, die in dieser Firma gearbeitet haben, dann herrscht dort genauso ein Hauen und Stechen wie in anderen Läden; dort erwischt es einen unter Umstünden nur noch kälter, weil man dort nicht damit rechnet!" Die Existenz solcher Firmenpolitiken wird prinzipiell positiv gewertet: "Gibt es insbesondere dort wo es feste mit dem Betriebsrat abgestimmte Rahmenrichtlinien gibt (Arbeitszeit; Urlaub; Krankheit, etc.)" Eine Teilnehmerin der Umfrage schreibt: "Es gibt z.B. die Möglichkeit, keine Aufträge von bzw. in Kooperation mit Rüstungsfirmen anzunehmen. Dieser Grundsatz steht in den Firmenleitlinien meines Arbeitgebers. Dieser strebt außerdem Kooperationen mit Betriebs- /Personalräten und kritischen WissenschaftlerInnen an. Das ist sicher eine Seltenheit und angesichts ökonomischer Sachzwänge nicht immer machbar."(5) Selbständig oder angestellt
Die Zuschriften weisen darauf hin, daß es keinen gravierenden Unterschied in den Möglichkeiten sozialverantwortlichen Handelns zwischen dem Angestelltenstatus und der Selbständigkeit gibt: "Auch Selbständige sind abhängig; z.B. davon, daß sie Aufträge bekommen und diese auch ordentlich bezahlt werden." Eine Teilnehmerin der Umfrage vermutet, daß "ein kritischer Umgang wahrscheinlich auch mehr Zeit und Geldaufwand bedeutet und vom eigenen Gewinn abgeht und eventuell auch einfach an die Grenzen der eigenen Ressourcen geht". Polemisch formuliert eine Person, die nicht glaubt, daß man im Beruf sozialverantwortlich handeln könne: "Wenn man selbständig ist und Arbeitsplätze schafft, ist das doch sehr sozial."
Dennoch differenzieren viele. Ein Selbständiger berichtet: "Zumindest subjektiv besteht da ein großer Unterschied. Ich habe den Eindruck, daß in vielen Firmen immer noch sehr autoritäre Strukturen vorherrschen. Als Selbständiger hat man (nicht immer und je nach tatsächlich eingenommener Rolle) die Möglichkeit, sich (beschränkt) aus diesen Mechanismen auszuklinken." Eine andere Person meint, der Zeitpunkte der Einflußnahme sei jeweils ein anderer: "Als Selbständiger muß man vor Vertragsabschluß darauf achten, als Angestellter hat man weniger, aber dauerhafteren Einfluß." Ein weiterer Unterschied besteht darin, daß "der Selbständige unter Umständen einem größeren ökonomischem Druck unterworfen ist, er aber eher die Freiheit hat, Kunden abzulehnen." (6)
Datenschutz und IT-Sicherheit
Kann man von kritischer Informatik außerhalb von Datenschutz und IT-Sicherheit leben? Diese Frage verneinten alle, die sie überhaupt kommentierten. Alle bekannten kritischen Informatiker hätten ihren Lebensunterhalt mit klassischer Informatik verdient. Doch auch Datenschutz und IT-Sicherheit werden nicht als prinzipiell kritische Bereiche gesehen, weil sie immer im Interesse eines Arbeitgebers lägen (vor allem IT-Sicherheit): "Das sind keine kritisch-informatischen Berufe. Man verliert die Distanz. Ein Datenschützer ist ein Anwalt, und der ist nur gut, wenn er sich zum Sprachrohr anderer macht. In der IT- Sicherheit geht es vor allem um den Schutz davor, ideell oder materiell ausgeraubt zu werden. Das ist ein Interesse, das voll im ökonomischen Kalkül steht." Oder: "In der IT-Sicherheit ist Kritik gefragt, aber selbst da bekommst Du die Richtung der Kritik manchmal vorgegeben." Wie die Situation ändern?
Zu der Frage, wie sich die Situation ändern und das Handlungsspektrum vergrößern läßt, herrschte vorwiegend Ratlosigkeit. Einer Zuschrift kann man indirekt die Forderung an die Universität entnehmen, mehr psychologisches Geschick zu vermitteln, damit Berufsanfänger besser ihre eigene Meinung vertreten, Leute aufklären und etwas beeinflussen können. Eine Person schlägt vor: "In 7 Jahren Studium hatte ich 1/2h Vorlesung zum Thema Informatik und Ethik. Vielleicht sollte wenigstens eine Pflichtveranstaltung zu diesem Thema durchgeführt werden. Beruflich sind gesetzliche Vorschriften meines Erachtens der einzige erfolgversprechende Weg." Andere hoffen, durch Qualifikation der politischen Ebene (international wie national) die Situation zu verbessern. Skeptischer äußert man sich in anderen Zuschriften: "Ich würde inzwischen eher dem Studium vorwerfen, keinen Zwang zur sozialen Wahrnehmung auszuüben. (... ...) Das Studium reformieren. Aber ernsthaft: ich glaube da läßt sich nicht viel machen. Man muß damit leben lernen, daß Verantwortung nichts Eindeutiges ist." Oder: "Gar nicht. Es gibt nur Leute, die viel davon reden und Umfragen machen. Nichts gegen Euch, aber bewirken wird das nichts." Eine Person erhofft sich durch gegenseitigen Austausch, wie er z.B. im FIfF möglich ist, eine Verbesserung der Situation. Hierzu zählt sie auch "diese Umfrage und ihre Auswertung". Der Autor, der eine gesellschaftskritische Position vertritt, schreibt: "Ich denke, wenn es gelingt, die Möglichkeit einer grundsätzlich anderen Einrichtung von Welt wachzuhalten und weiterzugeben, ist schon viel erreicht worden." Weitere Impressionen und ein Schlußwort
Unsere Umfrage war über mehrere der lokalen GI-Gruppenverteiler mit verteilt worden. Dort kam es zu einigen negativen Reaktionen, weil mehrere Personen unsere Umfrage als Belästigung empfanden. Wir können jedoch nur spekulieren, ob die Emotionalität der Reaktion zum Teil auch dem Thema der Umfrage zu verdanken war.
Auf eine Antwort aus den neuen Bundesländern : "Für welchen Dienst arbeiten sie eigentlich....? Das ist ja schlimmer als zu DDR-Zeiten". bot uns später der GI-Vertrauenssprecher der Region einen Versuch der Erklärung: Man wäre damals ständig aufgefordert gewesen, sich zu engagieren, und wurde dahingehend kontrolliert. Die Umfrage erschiene einigen als eine ähnliche Aufforderung oder Erwartung - und das zu einer Zeit, wo alle ums ökonomische Überleben kämpften. Per E-Mail baten wir ihn, für die FIfF-Kommunikation ausführlicher über diese Ost-West-Differenz zu schreiben: "Inwiefern unterscheiden sich die Handlungsmöglichkeiten in Ost und West, inwiefern unterscheiden sich die Voraussetzungen (das angesprochene ökonomische Überleben als wichtigeres Problem)?" Dies leitete er an einige Regionalmitglieder weiter und wir erhielten über diese Umwege die folgende Mail: "Dem habe ich nichts mehr anzufügen und, wie Sie auch, keine Zeit dafür zu verschwenden, denn es geht wirklich ums Überleben, und von Diskussionen um 'sozial verantwortungsvolles Handeln...' kommt noch kein einziger Auftrag herein... oder ist es etwa 'sozial verantwortungsvoll', wenn im gemeinsamen Ost-West-Ingenieurprojekt die Ostfirma 90,- Stundensatz verrechnen darf und die Westfirma 170,- ??? Ich wüde den dortigen Kollegen einfach empfehlen, mal 3 Jahre im Osten zu arbeiten (zu BAT-Ost natürlich) und dann die Umwelt zu interpretieren..." Die genannten ökonomischen Unterschiede und die hörbare Verbitterung sprechen wohl für sich. Unsere Umfrage wurde jedoch auch von Ostdeutschen, die allerdings im Westen arbeiten, unterstützt. Es wäre eine interessante Frage, festzustellen, ob sich die unterschiedlichen Lebenserfahrungen und hierdurch entstandenen Mentalitätsunterschiede zwischen neuen und alten Bundesländern auch auf die Haltung zum Thema unserer Umfrage auswirken oder ob die ökonomischen Rahmenbedingungen diese bestimmen.
Die meisten unserer ursprünglichen Fragen müssen nach wie vor als unbeantwortet gelten. Die Ergebnisse der Umfrage geben nur Hinweise auf mögliche Antworten oder zeigen ein Spektrum an Möglichkeiten auf. Sie werfen sogar eine Vielzahl neuer Fragen auf, wie den oben genannten Vergleich zwischen neuen und alten Bundesländern, nach der "Verwertbarkeit" von Sozialverträglichkeit, der Vereinbarkeit von Karriere und kritischem Denken/Verhalten, dem Umgang mit Konflikten zwischen dem Loyalitätszwang gegenüber dem Arbeitgeber und der Ehrlichkeit gegenüber Kunden... Die Umfrage-Antworten zeigen, daß abstrakte ethische Diskussionen an den Problemen der Praktiker vorbeigehen. Notwendig ist eine vertiefte Diskussion, die diesen Problemen und der Differenziertheit der Situationen gerecht wird. Notwendig ist zudem eine breite Diskussion, die zu einer allgemeinen Bewußtseinsbildung innerhalb der Informatik beiträgt. In diesem Sinne kann dieses Schwerpunktheft der FIfF-Kommunikation, dasaus der Umfrage heraus entstanden ist, nur ein Anfang sein.
(1) Einer dieser wenigen uns bekannten Artikel ist "Und plötzlich hat man einen Gewissenskonflikt" Der Berufseinstieg als InformatikerIn in der Privatwirtschaft“ von Michael Kreutzer in der FIfF-Kommunikation 3/99. Darin vertritt er die Thesen, daß a) die Wahrscheinlichkeit von Dual-Use-Projekten in der Informatik besonders hoch ist, b) Berufsanfänger bevorzugt in Bereichen eingesetzt werden, in denen es zu Gewissenskonflikten kommen kann und c) IT-ArbeiterInnen mit genügend Zivilcourage und Persönlichkeit mehr Druck ausüben könnten. Dieser kurze Problemaufriß endet mit der Frage, ob Studierende auf diese Konflikte gut vorbereitet werden.
(2) Bezogen auf den Datenschutz gibt es seit kurzem das Gütesiegel quid!. Bezogen auf die "Verwendbarkeit von Informatik-Systemen" haben wir folgenden Hinweis gefunden: Auf der CHI 2000 (ACM-Tagung zu Computer Human Interaction) wird ein Tutorial mit dem Titel "Successful Strategies for Selling Usability into Organizations" angeboten. Dort können Entwickler, User Interface Designer, Manager u.a. Strategien lernen, wie sie in eigenen oder fremden Organisationen "Stakeholder" überzeugen kö;nnen, daß "Usability" (Ergonomie,Benutzbarkeit) für das Unternehmen einen Unterschied macht, und sich lohnt. Vermittelt werden Fähigkeiten, dies zielgruppengerecht darzustellen sowie Hindernisse und Gelegenheiten zu erkennen.
(3) Beispielsweise gibt es mittlerweile einen "Dow-Jones-Sustainability-Group Index" (Hinweis aus einem Artikel in "die Mitbestimmung" 12/99, S. 29) demzufolge Unternehmen, die gesellschaftliche und ökologische Kriterien in ihre Unternehmensstrategie integrieren, eine höhere Aktienperformance erreichen als andere. Die praktische Rolle dieses Index ist uns allerdings unklar, ebenso, ob er sich nur auf PR-Grundsätze (Hochglanzbroschüren-Firmen-Image) oder auf die real umgesetzten bezieht.
(4) Möglicherweise ist hier Linux gemeint. Linux ist jedoch mehr als nur eine Alternative zu Monopolanbietern. Die OpenSource-Entwicklergemeinde steht auch für die Utopie einer anderen Berufspraxis und Arbeitsform (siehe Schwerpunkt in der FifF-Kommunikation 3/99)
(5) Aus einer früheren Ausgabe der FIfF-Kommunikation wissen wir von mindestens einer weiteren Firma, dem Softwarehaus sd&m;, mit ähnlichen Grundsätzen (Peter Brössler, Hubert Biskup, Hans Rauschmayer: "Damals hatte es ja keine Bedeutung" Ein Softwarehaus stellt sich der Gewissensfrage. FIfF-Kommunikation 3/96). Im beschriebenen Fall ging es um einen geplanten Auftrag, der den Firmengrundsätzen (keine Militärprojekte) widersprach. Es war eine firmeninterne Diskussion nötig, bei der ein hoher Prozentsatz der Angestellten sich gegen den Auftrag aussprach, um die Konzernleitung zur Ablehnung des Auftrags zu bewegen.
(6) Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt Karl Käseknecht in seinem Artikel (in diesem Heft) über sein bisheriges Berufsleben als Selbständiger in Schulung und Beratung sowie als Angestellter.